Schlusspunkt
Auffällig ökonomisch ticken Patienten nicht
Ludwig Hasler, Publizist und Philosoph
Nichts gegen Gesundheitsökonomie. Haushalten muss sein – auch auf der Krankenstation. Wir sollten dabei bloss nicht aus dem Auge verlieren: Gesundheit ist ein spezieller Markt, der Patient ein seltsamer Kunde. Andere Kunden begehren ein Gut, Barolo, Riemchensandalen, IWC-Uhr. Normale Kunden sind freudig gestimmt, die Rechnung nehmen sie entspannt. Der Medizinalkunde kommt bedrückt, er begehrt kein Gut, er will ein Übel beseitigt haben. Die Gesundheitsbranche funktioniert (abgesehen vom Optimierungs-Departement) als Entübelungs-Branche. Entsprechend zahlungsunwillig ist der Kunde. Seit die Kosten sozialisiert sind, klaffen Preis und Wert der Leistung auseinander. Kranke wollen um jeden Preis gesund werden, das Kollektiv will die Kosten partout tief halten. Das beisst sich. Falls wir das überhaupt «Markt» nennen wollen, ist es ein sehr spezieller Markt.
Auch weil der Mensch als Patient ein rätselhaftes Wesen ist. Aus Sicht der Ökonomie: ein Anachronismus. Zum Beispiel ist er nicht einmal fähig, lauter eindeutige Symptome zu produzieren. Er kommt nicht selten mit diffusen Bauchbeschwerden – und am Ende hapert es am Herzen. Oder mein alter Kollege. Schleppt sich seit Jahren mit wüsten Rückenschmerzen herum, hat sich zur Operation entschlossen, obwohl ihm alle abrieten. Doch nun das: Seit er den Termin seiner Operation kennt, sind seine Rückenplagen wie weggeblasen.
Ärztliche Kunst bleibt eine persönliche Affäre
Kein Einzelfall. Jeder von uns hat schon erfahren, wie er, auf dem Weg zur Ärztin, sich schon merklich gesünder fühlte. Tickt der Patient irrational? Wirkt eine Magie der Ärztin? Kürzlich las ich Placebo-Studien aus dem MIT (Massachusetts Institute of Technology), also beste Adresse. Fazit: In der therapeutischen Situation wirkt nicht das Medikament an sich, nicht die Therapie für sich. «Entscheidend ist die Überzeugung, ja die Begeisterung des Arztes für die Therapie.» Das heisst: Das A & O der Heilung liegt im persönlichen Verhältnis von Arzt und Patient. Mag sein, dass das bei Kniegelenkoperationen leicht anders läuft. Doch auch da ist das Vertrauen der springende Punkt, wörtlich der springende Punkt: Der Patient muss im Auge des Arztes den Glauben an die Operation sehen, dann überträgt sich diese Zuversicht auf ihn selber, erst dann mobilisiert der Patient alles, was sein Knie wieder tüchtig und ihn selbst wieder berggängig macht. Ohne kräftige Mitwirkung keine Heilung. Ohne ärztliche «Magie» keine Mitwirkung? Klar ist nur: Ärztliche Kunst bleibt eine persönliche Affäre. Eine Ökonomie, die das übersieht, wird schnell unökonomisch.
Hohe Preise, gute Besserung
Die zitierten MIT-Studien erforschen übrigens auch die Wirkung der Kosten: Schmerzpatienten kriegten alle dieselbe Pille, bloss dass auf der Packung mal «37 Dollar» stand, mal «2 Dollar 50». Ergebnis: Hohe Preise, gute Besserung. Für 2 Dollar 50 liessen die Schmerzen partout nicht nach, für 37 Dollar dagegen gern und spürbar. Damit müssen Gesundheitsökonomen auch klarkommen. Laien, also Patienten, glauben nicht an die grosse Wirkung zu tiefen Preisen.