Getroffen im «Gleis 8»
Die Betroffenen stets im Blick
Lea Müller
Nach zehn Jahren geht Martina Merz-Staerkle, Prorektorin der FHS St.Gallen und Leiterin des Fachbereichs Gesundheit, Ende Februar 2016 in Pension. Im Interview blickt sie auf innovative Zeiten zurück, begründet die Notwendigkeit akademisch ausgebildeter Pflegefachpersonen und verrät, dass sie gute Ideen wie etwa die Initiative für den Demenz-Kongress jeweils beim Bügeln entwickelt.
Martina Merz-Staerkle, angenommen, Sie würden heute am Anfang Ihrer Berufskarriere stehen. Würden Sie den Beruf der Pflegefachfrau wieder wählen?
Prof. Martina Merz-Staerkle: Ja, auf jeden Fall. Mir würde der Entscheid sogar einfacher fallen, weil der Beruf heute grössere Chancen bietet. Als ich mich in den 70er-Jahren zur Krankenschwester ausbilden liess, gab es noch kein Bachelor-Studium, geschweige denn ein Master-Studium. Ich wählte den pädagogischen Weg und wurde Lehrerin für Krankenpflege. Später übte ich als Leiterin des Pflegedienstes am Bürgerspital St.Gallen Management-Aufgaben aus und kehrte dann wieder in den Schulbereich zurück. Heute würde ich mich eher auf eine Weiterentwicklung in der Pflege konzentrieren.
Die Herausforderungen im Berufsfeld der Pflege haben sich in den vergangenen Jahren stark geändert. Woran liegt das?
Merz-Staerkle: Der medizinische und technische Fortschritt war in den vergangenen Jahren enorm. Das Berufsbild der Pflege hat sich mitentwickelt und eine neue Ausrichtung erhalten. Um aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden, trägt die Pflege heute mehr eigenständige Verantwortung. Markante Veränderungen sind die demografische Entwicklung und die Tatsache, dass es immer mehr chronisch erkrankte Menschen gibt – und zwar nicht nur im Alter, sondern über die gesamte Lebensspanne. Dank des Fortschritts haben Betroffene heute eine höhere Lebenserwartung und benötigen entsprechend über längere Zeit Begleitung. Hier übernimmt die Pflege einen wichtigen Part.
Welchen Einfluss hat der zunehmende Kostendruck auf das Berufsbild der Pflege?
Merz-Staerkle: Der Druck, die Effizienz zu steigern und Kosten zu sparen, ist spürbarer geworden: Patientinnen und Patienten sollen nach einer Behandlung möglichst rasch wieder aus dem Spital entlassen werden können. Das bedeutet eine Verlagerung von Pflegeleistungen. Die Schnittstelle zu Spitex, Beratungsstellen und weiteren Dienstleistenden muss deshalb gewährleistet sein. Grosses Gewicht erhält aus Sicht der Pflege die Patienten- und Angehörigenedukation: Patientinnen und Patienten müssen gut angeleitet werden, damit sie wissen, wie sie zu Hause gesund werden und auch bleiben.
Neue Berufsbilder wie die Advanced Practice Nurse sind eine Reaktion auf diese veränderten Bedingungen. Kritische Stimmen äussern sich aber gegen eine «Akademisierung» des Pflegeberufs. Was ist Ihre Meinung dazu?
Merz-Staerkle: Der akademische Weg ist kein Selbstzweck, sondern eine Antwort auf aktuelle Herausforderungen im Berufsfeld. Die Pflege muss mit laufenden Entwicklungen mithalten können. In der Forschung prüfen Expertinnen und Experten bestehende Methoden und entwickeln neue, die später in der Praxis eine wirkungsvolle Pflege sicherstellen.
Sie haben zuerst als Mitglied der Projektsteuerungsgruppe, später als Leiterin des Fachbereichs Gesundheit an der FHS St.Gallen die Aus- und Weiterbildungsangebote in der Pflege mitgeprägt. Was sind für Sie persönlich die Höhepunkte?
Merz-Staerkle: Zusammen mit den Kolleginnen Heidi Zeller, Vreni Frei Blatter und Andrea Brenner habe ich den Bachelor-Studiengang an der FHS St.Gallen implementiert. Der erste Meilenstein war erreicht, als wir 2006 mit rund 60 Studierenden den Bachelor-Studiengang starten konnten. Es ist uns gelungen, motivierte und engagierte Dozierende zu gewinnen. 2010 folgte als weiterer Meilenstein die Einführung des Master-Studiengangs. Als erste Fachhochschule der Schweiz führten wir den berufsbegleitenden Studiengang für Pflegende mit einem altrechtlichen Diplom und den vierjährigen berufsbegleitenden Bachelor-Studiengang für Fachangestellte Gesundheit mit BMS ein. Auf der Ebene der Weiterbildung haben wir den MAS in Palliative Care lanciert, der bis heute eine sehr grosse Nachfrage verzeichnet. Wichtig ist auch der Aspekt der Forschung: Unser Institut für Pflegewissenschaften hat es geschafft, sich erfolgreich zu positionieren und unter anderem in den Themenfeldern Patienten- und Angehörigenedukation, Demenz und Palliative Care kontinuierlich Wissen zu generieren, das in die Praxis einfliesst.
Wie haben sich die Studierendenzahlen über die Jahre hinweg entwickelt?
Merz-Staerkle: Die Zahlen sind kontinuierlich gestiegen und wir haben das Erwartungs-Soll sogar übertroffen.
Sie haben den nationalen Demenz-Kongress in St.Gallen initiiert, der am 25. November 2015 bereits zum dritten Mal stattfindet. Wie ist es dazu gekommen?
Merz-Staerkle: Auf gute Ideen komme ich jeweils beim Bügeln (lacht). Ich beschäftigte mich gerade mit dem Schwerpunkt «Demenz» unseres Instituts und dachte, dass sich dieses gesellschaftlich hochaktuelle Thema gut für einen Fachkongress eignen würde. Wie gross das Potenzial wirklich ist, wurde den Olma Messen St.Gallen und uns aber erst klar, als sich für den ersten Kongress etwa 1’000 Pflegefachpersonen anmeldeten – gerechnet hatten wir mit 200 Teilnehmenden.
Wie ist die anhaltend grosse Nachfrage zu erklären?
Merz-Staerkle: Das ungebrochene Interesse an unserem Kongress zeigt, dass das Thema Demenz Pflegende bewegt und nachhaltig beschäftigt. Das Engagement der Fachpersonen ist sehr gross: Sie möchten wissen, wie sie Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen kompetent begleiten können.
Ende Februar 2016 gehen Sie in Pension. Was wünschen Sie dem Fachbereich Gesundheit der FHS St.Gallen für die Zukunft?
Merz-Staerkle: Ich wünsche mir, dass es dem Fachbereich Gesundheit weiterhin gelingt, dank sehr kompetenten Dozierenden und Forschenden sowie guten Rahmenbedingungen, eine qualitativ hochstehende Aus- und Weiterbildung anzubieten sowie eine Forschung zu betreiben, die letztendlich in die Praxis fliesst. An der FHS St.Gallen sollen motivierte Pflegende ausgebildet werden, die ihre Verantwortung wahrnehmen und mit Fachkompetenz und Menschlichkeit einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Pflege leisten. Die Perspektive der Patientinnen und Patienten muss dabei im Zentrum stehen: Letztendlich sollte es unser wichtigstes Ziel sein, eine Pflege zu fördern, die den Betroffenen zugute kommt. Ich bin zuversichtlich, dass ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen zehn Jahren ein gutes Fundament dafür gelegt habe.
Und was sind Ihre persönlichen Zukunftspläne?
Merz-Staerkle: Ich habe keine Angst vor der freien Zeit, sondern bin offen, Neues zu entdecken. Ich freue mich auf mehr Zeit für meinen Freundeskreis und für Kulturelles. Gerade mein grosses Interesse für Konzerte, Theater und Kino musste ich im Berufsalltag oft hintanstellen. Ich bin ausserdem dabei, verschiedene Mandate zu prüfen und kann mir gut vorstellen, mich im Bereich der Freiwilligenarbeit zu engagieren.