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Getroffen im «Gleis 8»

«Glückliche Menschen leisten gerne mehr»

Mirjam Santaguida

Wir leben in einer Zeit des Wohlstandes, da müsste man davon ausgehen, dass die Menschen rundum glücklich sind. Schaut man sich jedoch in unserer Gesellschaft um, sind die Depressionsraten im Vergleich zu den 60er-Jahren um das Zehnfache gestiegen. Prof. Sigmar Willi unterrichtet Positive Psychologie und Selbstmanagement an der FHS St.Gallen. Ein Gespräch.

Sigmar Willi, sind Sie glücklich?

Sigmar Willi: Auf einer Skala von eins bis zehn würde der Druchschnittsschweizer sagen: sechs. Der Durchschnittsamerikaner würde antworten: zehn. Ich pendle zwischen sieben und zehn und fühle mich im Wesentlichen sehr glücklich.

Wie merken Sie, dass Sie sehr glücklich sind?

Willi: Das Glücksgefühl hängt von meiner Tagesform ab. «Glück» würde ich jedoch durch den Begriff «Wohlbefinden» ersetzen. Ich habe mir diesbezüglich im Laufe meines Lebens ein stabiles Fundament erarbeitet. Der Zugang zu einem glücklichen Leben ist aber auch stark über die eigene Denkhaltung gesteuert.

Wie zeigt sich das wahre Glück?

Willi: Ich sehe es in der Lebenszufriedenheit und dem Wohlbefinden. «Glück» würde ich in einem anderen Kontext verwenden. Glück gibt es im Zufälligen. Und das kann man nur bedingt beeinflussen. Zufälle soll man packen, wenn sich die Chance ergibt. Dies ist jedoch nur möglich, wenn jemand offen und achtsam durchs Leben geht und empfänglich ist. Lebenszufriedenheit stützt sich, in Anlehnung an den bekannten amerikanischen Psychologen Martin Seligman, auf folgende fünf Säulen: positive Emotionen, Engagement und Flow, positive Beziehungen, Sinn (im Leben) und zu guter Letzt Ziele erreichen und etwas leisten.

Ist es nicht ein egozentrisches Streben unserer Gesellschaft, immer glücklicher werden zu wollen?

Willi: Viele Personen gehen oftmals von einer falschen Glücksdefinition aus. Man kann nicht immer glücklich sein. In der Präambel der Amerikanischen Verfassung steht, dass Glück ein Grundrecht eines jeden Amerikaners sei — «the pursuit of Happiness». Wenn man den Begriff «Happiness» lediglich auf materielles Glück und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung runterbricht, sind es Worthülsen, die es mit Inhalt zu füllen gilt. Studien zeigen, dass mehr Besitz, mehr materieller Wohlstand und mehr Möglichkeiten nicht mit Zuwachs an Lebenszufriedenheit einhergehen. Ausser jemand startet auf sehr tiefem Level. Ich wäre skeptisch, wenn sich Personen oder auch Ratgeberliteratur auf das schnelle Glück berufen.

Wie wird man zum wissenschaftlichen Glücksforscher?

Willi: Die Grundaffinität muss einem in diesem Thema gegeben sein. Ich musste mich, gezwungenermassen durch meine Lebenssituation, um meine Work-Life-Balance — ein unsäglich veralteter Begriff, den ich nicht mag — sehr intensiv kümmern. Das Management meines Lebens als alleinerziehender Vater stand jahrelang im Fokus. Ich musste schauen, dass ich bei einer grossen Belastung gesund bleibe und dabei keinen Lebensbereich vernachlässige. Irgendwann habe ich festgestellt, dass «Sich-glücklich-und-zufrieden-Fühlen» lernbar ist. Als ich mit Menschen aus meinem Umfeld über das Thema sprach, merkte ich zunehmend, dass sich sehr viele Personen damit beschäftigen. Dies jedoch immer nur punktuell. Ich selbst hatte ebenfalls zu wenig Zeit, um mich intensiv um das Thema zu kümmern. Kurzerhand entwickelte ich ein neues Unterrichtsfach. Am Anfang nannte ich es «Selfund Teamempowerment». Dies war vor rund zehn Jahren.

Wie erreichen Sie die Studierenden im Alter zwischen 20 und 25 Jahren mit diesem emotionalen Thema?

Willi: Die Studierenden sind mangels Lebenserfahrung die härteste Zielgruppe, wenn es um die Persönlichkeitsbildung geht. Ich probiere sie über relevante Themen aus ihrem Alltag abzuholen, zum Beispiel über das Thema Freundschaften. Was ist der Unterschied zwischen Verliebtheit und Liebe und wie werden Beziehungen und Freundschaften gepflegt? Das sind Themen, die jeden interessieren und in jeder Altersstufe aktuell sind. Und in jungen Jahren kann man mehr Einfluss nehmen auf die Gestaltung von Beziehungen. Teilweise sind die Themen sehr persönlich, diese bearbeiten die Studierenden zu Hause im Selbststudium. Die Studierenden erhalten von mir einen Kick, Theorie und Übungen — was sie daraus machen, hängt von ihnen ab. Meine Anleitungen können auch später, bei Bedarf, hervorgeholt werden.

Können wir Glück beeinflussen oder müssen wir hinnehmen, dass Glück in unseren Genen verankert ist?

Willi: Beeinflussen kann man mehr, als man meint. Dazu gibt es eine sogenannte «Glücksformel». Die Wissenschaft hat herausgefunden, dass die Hälfte der Eigenschaften, die einen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit haben, vererbt ist. Auf die andere Hälfte kann man Einfluss nehmen. 8 bis 15 Prozent davon beziehen sich auf die Lebenssumstände wie Ausbildung, Einkommen, Besitz, Gesundheit, Herkunft, Erziehung, Religion etc. In der Volksmeinung sind diese irrtümlicherweise hauptverantwortlich für das Glück. Wenn man auf das Materielle sehr hohen Wert legt, hindert dies einen eventuell an der persönlichen Weiterentwicklung und der Entwicklung von Lebenszufriedenheit. Ausschlaggebend ist vielmehr die Denkhaltung bezüglich Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart, welche willentlich gesteuert werden kann.

Gelingt es auch mit einem trüben Gemüt, positive Energie in die Lebensführung zu bringen?

Willi: Auch mit einem trüberen Gemüt kann man ein glückliches und erfülltes Leben führen. Solche Menschen befassen sich meistens mehr und intensiver mit dem Thema Glück und müssen auch mehr für ihre Lebenszufriedenheit tun als die sogenannten «Sonnenkinder».

Wie definieren Sie Glück aus der Sicht eines Betriebsökonomen?

Willi: In einem Unternehmen ist das «Glück» der Stand der Mitarbeitendenzufriedenheit. Zugeordnet in der Unternehmenskultur und umgesetzt im Führungsansatz. Leider herrschen darin noch riesige Mankos. Darum auch die Übertragung der positiven Psychologie, der Corporate Happiness, in die Unternehmensführung. Denn glückliche Mitarbeitende haben, einer vielbeachteten amerikanischen Metastudie zufolge, eine um 31 Prozent höhere Produktivität, ihre Verkäufe sind 37 Prozent und ihre Kreativität drei Mal höher.

Wie kann man die positive Energie als Führungsperson auf die Mitarbeitenden oder eine Organisation übertragen?

Willi: Bei der Unternehmung muss bei den gelebten Werten sowie beim Leitbild angesetzt werden, das dem Zweck der Unternehmung entspricht und mit dem sich die Mitarbeitenden identifizieren können. Die Unternehmenskultur soll gemeinsam mit den Mitarbeitenden gestaltet werden. Es gilt, die fünf Säulen des Wohlbefindens auch in der Arbeitswelt anzuwenden und bei der Selbstführung zu beginnen.

Welche drei Tipps für ein glücklicheres Leben können Sie uns mitgeben?

Willi: Mein erster Tipp ist Achtsamkeit. Leben Sie im Hier und Jetzt und lernen Sie, dem Moment eine Bedeutung zu geben sowie die kleinen Sachen zu schätzen. Zweitens empfehle ich die Akzeptanz der Polaritäten. Seien Sie sich bewusst, dass zum Erfolg auch Misserfolg gehört und zu Lust auch Schmerz. Akzeptieren Sie das Negative und vertrauen Sie darauf, dass das Positive überwiegt. Ein dritter und wichtiger Punkt sind positive Beziehungen. Zeigen Sie Wertschätzung gegenüber den Menschen in Ihrem Umfeld und pflegen Sie Freundschaften. Und seien Sie dabei auch nachsichtig.

Prof. Sigmar Willi

Prof. Sigmar Willi, Betriebswirtschafter lic. oec. HSG, ist Dozent im Fachbereich Wirtschaft an der FHS St.Gallen. Schwerpunkte der Lehrtätigkeit sind Persönlichkeits- und Teamentwicklung sowie Intercultural Management. Seit 2005 ist er Leiter der FHS Alumni.