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Schlusspunkt

Es ist so bequem, unmündig zu sein

Ludwig Hasler, Publizist und Philosoph

Partizipation, prima Idee. Passt perfekt zur Share Economy, die ja nur noch Träumer an Sankt Martin erinnert, der seinen Mantel mit dem Bettler teilt. Mit Selbstlosigkeit oder gar Barmherzigkeit hat die neue Konjunktur des Teilens nichts zu tun – eher mit dem Gegenteil: Wir verzichten auf ein eigenes Auto, weil wir jederzeit Zugriff auf jedes Verkehrsmittel haben wollen, ohne uns mit dem Besitz des Autos herumschlagen zu müssen.

Eine Hochschule lebt vom partizipativen Denken

Partizipation kommt von teilen. Macht teilen. Alle Beteiligten sollen an ihr teilhaben. Toll, an Fachhochschulen schon gar. Da geht es doch um Denken, oder? Macht hat, wer den besten Gedanken hat, etwa nicht? Also lebt eine Hochschule davon, dass alle leidenschaftlich mitdenken, partizipativ denken, klar. Hat nur einen Haken: Wer will denn so was?

Etwa Professorinnen, Dozenten? Heute setzen Hochschulen Wissen um, nicht Denken. Vermittlungsform: Power Point. Die Realität mag noch so unübersichtlich sein, Power Point säbelt sie in eindeutige Tranchen, dampft jede diffuse Qualität auf Tabellen und Statistiken ein. «Präsentationen» erwecken den Schein verlässlicher Objektivität, weil sie die Welt in quantifizierbare Schablonen bringen, die vermeintlich nicht mehr an Perspektiven gebunden sind. So suggerieren sie eine scheinkonkrete Handlichkeit der Welt – und nehmen den Studierenden die Welt aus der Hand. So ist es, sagt jede neue Seite, jede Torte, jede Säule – und lässt das Fragen abprallen. Wagt sich doch eine Frage hervor, wird sie mit neuen Diagrammen gestopft, Migrations-Infografiken, Konjunktur-Schautafeln bieten sich zur Ansicht, nicht zur Einsicht: So liegen die Dinge, basta. Widerrede zwecklos.

Wollen vielleicht Studierende unbedingt mitdenken? Wo es entschieden gemütlicher ist, den Stoff hinzunehmen, wie er picobello präsentiert wird – statt sich noch mühsam «seines eigenen Verstandes zu bedienen», wie Immanuel Kant es jedem aufgeklärten und mündigen Kopf zumutete. Schon Kant sah das Hindernis für Mündigkeit und Machtteilung nicht etwa in der Arroganz der Macht-Clique, sondern in der Faulheit und Feigheit der Menschennatur: weil es «so bequem ist, unmündig zu sein». Das scheint auch heute zu funktionieren, denn jedes Mal, wenn ich an einer Hochschule bin, stelle ich fest: Es steigt die partizipative Nettigkeit zwischen Dozenten und Studierenden, es sinkt die partizipative Reibung zwischen ihnen. Es herrscht eine Art strukturelle Komplizenschaft, sich nicht wehzutun, keine einschneidenden Fragen aufkommen zu lassen.

Hörsaal-Nervensägen zur Sicherung des Widerspruchs

Partizipation? Ja, ja! Bloss wie, wenn die Studierenden mehrheitlich kreuzbrav am zügigen Abschluss interessiert sind, keinen Ärger mit Dozenten haben wollen, Traumnoten kriegen? Übertreibe ich? Umso besser. Sonst müsste uns dringend etwas einfallen, mehr Partizipation des Denkens zu organisieren. Einst hielten sich Fürsten zur Sicherung des Widerspruchs Hofnarren. Hochschulen könnten es mit professionellen Hörsaal-Nervensägen versuchen, Pensum: Aufschrecken aus dem Schlummer der Wissensfrömmigkeit.