Brennpunkt
«Guten Morgen», sagt der Pflegeroboter.
Christian Jauslin
Roboter stehen nicht mehr nur in der Fabrikationshalle, sondern ebenso in Einkaufszentren und neben Pflegebetten. Was passiert, wenn sich die Grenzen zwischen Mensch und Maschine auflösen? Kümmert sich eine Maschine fürsorglich um den Patienten? Ein Thema mit vielen Fragen, die Sabina Misoch vom Interdisziplinären Kompetenzzentrum Alter erforscht.
Der Roboter als Partner oder Gegner des Menschen gehört seit Beginn des technischen Fortschritts zum festen Inventar utopischer Fantasien und der Science-Fiction-Literatur. Dass der Kontakt mit «intelligenten Maschinen» keine blosse Zukunftsmusik ist, beweist der flächendeckende Einsatz von Robotern und computerbasierten künstlichen Agenten in der industriellen Produktion, der Arbeitswelt und/oder in der Unterhaltungsindustrie. Glaubt man aktuellen Prognosen und Einschätzungen von Experten, so kommen in naher Zukunft auch Roboter, im Sinne von physisch autonomen Agenten, verstärkt im Alltag und Haushalt zum Einsatz. Diese neue Robotergeneration wird in der Lage sein, vielseitige und komplexe Aufgaben zu übernehmen, die weit über die Funktionalität eines Staubsaug- oder Rasenmähroboters hinausgehen. Neben den mechanischen Robotern, die in der Fabrikation arbeiten oder als humanoide Roboter den Besuchern im Glattzentrum in Wallisellen helfen, Läden und Toiletten zu finden, gibt es auch die «virtuellen Roboter». Auch sie übernehmen bereits heute unsere Arbeit: Sie entwerfen Dächer und erteilen einem Bauroboter den Auftrag, dieses umzusetzen, sie steuern Flugzeuge oder sitzen in Form eines Algorithmus im Verwaltungsrat einer Venture-Capital-Firma und verfügen über ein Stimmrecht. Roboter nehmen folglich nicht mehr nur Aufträge und Befehle entgegen, sondern fangen selber an Entscheide zu fällen, denen sich die Menschen fügen müssen. Durch die Industrie 4.0, so die Annahme, verlieren Arbeitnehmende in bestimmten Berufsfeldern an Autonomie und arbeiten den Robotern lediglich noch zu – wenn sie nicht sogar mehr als nur Aufgaben verlieren, ihr Job etwa gänzlich automatisiert wird.
Mechanischer Körperkontakt
«Junge Menschen gehen mit einer Selbstverständlichkeit mit den digitalen Medien um. Sie haben eine andere Offenheit für robotikähnliche Entitäten als die Menschen meiner Generation», erklärt Prof. Dr. Sabina Misoch, Leiterin des Interdisziplinären Kompetenzzentrum Alter IKOA-FHS. Als Technik-Soziologin erforscht sie zum Beispiel die Akzeptanz von Technik und bereiste unter anderem Asien. «Asiaten sind technischen, nicht humanoiden Innovationen gegenüber ganz anders eingestellt als wir. Sie haben diesen gegenüber eine positivere Wahrnehmung als wir Westeuropäer», so eine ihrer Erkenntnisse und sie lacht: «In Japan hielt ich Referate über Technikakzeptanz, und meine japanischen Kolleginnen und Kollegen verstanden nicht, wo denn eigentlich das Problem sei.»
Körperkontakt ist in der japanischen Gesellschaft nicht erwünscht. Das widerspiegelt sich im Umgang mit Robotern: Weil sie Körperkontakt mit Pflegenden ersetzen, werden sie von den Patientinnen und Patienten als positive und präferierte Alternative wahrgenommen. «In der Schweiz hört man aber: Das ist doch unmenschlich, wenn ich von einer Maschine aus dem Bett gehoben werde», so Misoch. Die Abhängigkeit von Menschen könne dann dazu führen, dass Pflegebedürftige auf Hilfe verzichten, weil es ihnen unangenehm ist, nach Hilfe zu fragen. Die Altersforscherin wünscht sich, dass heutige Seniorinnen und Senioren der Technik gegenüber aufgeschlossener wären, auch, um herauszufinden, ob diese tatsächlich das erfüllt, was ihr Potenzial verspricht.
Sie erwartet aber auch, dass die Technikakzeptanz bei der Generation der Babyboomer bereits grösser sein wird.
Fühlende Umwelt
Eine Grenze wird überschritten, wenn man nicht mehr weiss, wo der Mensch aufhört und wo die Maschine anfängt, sei das eine mechanische Prothese oder ein «Stellvertreter-Roboter» wie die «Telepresence Roboter»: Ein IPad auf einer Stange mit einem Rad, das nicht nur wie bei einer Telekonferenz mitsehen und mithören, sondern dank des Rades auch mobil ist und mitgehen kann.
Weniger invasiv sind Sensoren und Messgeräte oder Lampen, die auf den Menschen reagieren, wie gerade eben von Studierenden des Wirtschaftsingenieurwesens an der FHS St.Gallen entwickelt (siehe Beitrag auf Seite 47). «Da kann schon mal jemand das Gefühl haben, dass eine Grenze verschwindet, weil das Messen nicht punktuell beim Arzt passiert, sondern permanent und unbemerkt stattfindet», nennt Misoch als Beispiel.
Schmerzlose Roboter
Der Begriff «Digital Natives» ist unterdessen bekannt: Im Gegensatz zu den «Digital Immigrants» kennen diese Personen keine Welt ohne das Internet oder Smartphones mit ihren Apps. Dieses Konzept findet sich nun im Begriff «Robotic Natives» wieder, womit impliziert wird, dass es irgendwann Menschen geben wird, die keine Welt ohne Kontakt zu Robotern kennen. Die Frage stellt sich somit, ob entsprechend die «Robotic Immigrants» den Umgang und Kontakt mit Robotern lernen müssen und ob dieser Prozess bereits angefangen hat (siehe auch Kasten zum Interdisziplinären Kontextstudium mit dem Thema «Social and Human Robotic»). Das wäre dann eine Welt, in welcher die Grenze zwischen der Sortierung von Mensch und Maschine durch Durchdringung aufgelöst wird.
Eine Grenze wird überschritten, wenn man nicht mehr weiss, wo der Mensch aufhört und wo die Maschine anfängt.
Eine vorgegaukelte Beziehung
Gemäss Misoch werde dies auch kritisiert: Pflegeroboter würden menschliche Kontakte ersetzen, die dann im Extremfall vollständig wegfallen könnten. Einsamkeit im Alter sei bereits jetzt ein Problem und könne sich so noch verstärken. Auch werde in diesem Fall eine Beziehung oder Reaktion vorgegaukelt, die aber algorithmisch und nicht emotional sei. Wird eine Beziehung zu einem Gerät aufgebaut, überschreitet dies die Grenze zwischen artifiziell und genuin, künstlich und echt. Ob damit ein Anthropomorphismus – die Übertragung menschlicher Eigenschaften auf Nichtmenschliches – einhergeht, steht unter Expertinnen und Experten noch zur Diskussion. Studien haben aber gezeigt, dass Menschen Mitleid mit Robotern haben, wenn diese getreten oder geschubst werden – obschon sie wissen, dass ein Gerät keinen Schmerz fühlt oder dies als Unrecht wahrnehmen kann.
Misoch führt die Akzeptanz von Robotern in der japanischen Kultur neben dem animistischen Wertesystem auch auf Mangas zurück. Die Comics sind in Japan seit den 1960er-Jahren in allen Alters- und Sozialschichten ein wichtiger Teil der Kultur und zeigen oft auch Roboter: «Dieser ist zwar ein Roboter und eine Maschine, aber er hat ein Herz und ist somit für die Japaner eine beseelte Entität.»
Programmierte Emotionen
Ein Beispiel für vorgetäuschte Emotionen ist die Roboterrobbe Paro, die in der Pflege von Demenzkranken eingesetzt wird. Sie soll positive Emotionen bei den Patienten hervorbringen, in der Annahme, dass so die Krankheit weniger schnell fortschreitet. Die Robbe gibt den Patienten ein gutes Gefühl, sie können sich um ein Wesen kümmern, das ihnen auch ein Feedback gibt, im Gegensatz dazu, dass andere sich immer um sie kümmern müssen. Kritiker hingegen bezeichnen die Robbe auch als «Betrug am Patienten».
Eine entscheidende Einschränkung ist, dass Paro in der Pflege eingesetzt wird und diese nicht ersetzt. Roboter können das noch nicht. «Wir sollten uns die Chancen der Technik nicht entgehen lassen», findet Misoch. Aber auch sie sieht Grenzen, zum Beispiel in der Vorstellung, morgens von einem Roboter statt von einem Menschen begrüsst zu werden: «Das ist schade, wenn mich nur der Roboter fragt, wie es mir geht.» Doch was ist besser: ein Pflegeroboter, der einem einen guten Morgen wünscht, oder niemand? «Das ist eine interessante Frage», meint Misoch zum Abschluss des Interviews nachdenklich.