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Brennpunkt

Im Jugendwahn steckt die Angst vor dem Alter

Andrea Sterchi

Nicht immer bewerteten wir die Jugend so positiv wie heute. Die Werte, die wir ihr und auch dem Alter zuschreiben, haben sich über die Zeit verändert. Stand einst ein gesunder Körper für die Jugend, erhielt sie im 19. Jahrhundert erstmals eine politische Bedeutung. Nur der Grund für die Suche nach der ewigen Jugend blieb der gleiche.

Alt und gebrechlich hinein, jung und vital wieder heraus – der Traum eines Jungbrunnens ist so alt wie die Menschheit. Die Suche nach der ewigen Jugend ist kein Phänomen unserer Zeit, verändert hat sich einzig die Motivation dahinter. Und die Antwort auf die Frage, ab wann man alt ist. Bis ins 19. Jahrhundert galt man mit 62 Jahren als alt und tattrig, Frauen kamen mit 50 ins Greisenalter.

Für immer 20 sein

Wer sich nach der Jugend sehnt, der hat vermutlich die Zeit mit 20 im Blick. «In diesem Alter trägt man noch nicht die Last der Verantwortung», sagt Ute Frevert. Die deutsche Historikerin zeigte am Networking-Tag der FHS Alumni im September in ihrer Kulturgeschichte der Jugend auf, wie sich die Werte, mit denen wir Jugend und Alter belegen, je nach Zeit deutlich unterscheiden. Der Grund hingegen, warum wir Jugendlichkeit hochhalten, ist immer der gleiche: Wir fürchten uns vor dem Alter.

Weisheit und Macht

Nicht immer wurde die Jugend gepriesen. Die Römer etwa sahen das Alter als eine Lebensphase voller Weisheit, Abgeklärtheit und Macht, vereint in der Rolle des Pater Familias. Das spiegelte sich auch in der Politik. Und für Handwerkslehrlinge bedeutete das Leben früher weder Freiheit noch Ungebundenheit. «Die Jugend wurde oft erst in der Erinnerung verklärt», sagt Ute Frevert. Für damalige Autoren wie Wilhelm von Kügelgen, der 1870 seine Jugenderinnerungen veröffentlichte, oder für Carl Ludwig Schleich mit der «Besonnten Vergangenheit» bedeutete die Jugend ein rückwärtsgewandter Sehnsuchtsort. Die Studentenzeit etwa sahen sie als eine Zeit voller Freiheit, Ungestüm, Leidenschaft und Kraftgefühl.

Ute Frevert, Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

Die deutsche Historikerin Ute Frevert forscht über Neuere und Neuste Geschichte sowie über Sozial- und Geschlechtergeschichte. Seit 2008 leitet sie den Bereich «Geschichte der Gefühle» am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. 2016 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz, das für besondere Leistungen auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem, geistigem oder ehrenamtlichem Gebiet verliehen wird

Jugend bedeutet heute Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, Fit im Körper und im Geist.

Politischer Grundton

In den frühen Burschenschaften und Studentenverbindungen, die sich um 1800 formten, sieht die Historikerin das erste Anzeichen für eine neue Form, für eine Jugend der Moderne. «Zum ersten Mal war Jugend politisch aufgeladen.» Bis anhin sprach man der Jugend vor allem körperliche Vorteile zu. Jung, geschmeidig und gesund ohne die Gebrechen des Alters. Die Burschenschaften hingegen bekannten sich zur Nation. «Im Zuge der napoleonischen Umwälzungen fand eine Politisierung der Jugend statt. Die Burschenschaften traten gegen alte Verkrustungen an, wollten der Welt Demokratie und Freiheit bringen», sagt Ute Frevert.

Dieser politische Zug verlor sich und tauchte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erneut auf. Eine wichtige Rolle spielte die Wandervogel-Bewegung. Sie stand für Freiheit, Gemeinschaft, Authentizität, für die Distanz zu den Vätern und dafür, sich nicht von der Gesellschaft einengen zu lassen. «Jugend führte Jugend, daraus erwuchs ein neues Selbstbewusstsein, das sich gegen die Mechanisierung und Versteinerung der Welt wandte. Natur, Körper, Vitalität – all das verschmolz zu einer neuen Lebensphilosophie», sagt Ute Frevert.

Jugend und Alter sind mit Werturteilen belegt, die sich je nach Zeit unterscheiden.

Jugend im Nationalsozialismus

Die Nationalsozialisten übernahmen diese Werte, sie massen der Jugend einen hohen Stellenwert bei. «Sie wurde zu einem politischen Wert. Die Nationalsozialisten sahen sich selber als jung, unverbraucht, voller Leidenschaft. Die Mitglieder und Aktivisten gehörten selber jüngeren Jahrgängen an, dem Alter begegnete man mit Misstrauen», sagt Ute Frevert.

In der Moderne steht Jugend für Innovation und Fortschritt. Jugend ist nicht mehr ein Traum, sondern immer stärker eine Erwartung, ja sogar ein Zwang. «Wir wollen nicht nur ewig jung sein, wir müssen es sein.»

Schönheits-OPs in den 1920ern

Begünstigt hat dies die Wissenschaft, sie machte vieles möglich. Erste Schönheitsoperationen gab es bereits in den 1920er-Jahren. Allerdings ohne nennenswerte Erfolge. Die Kosmetikindustrie, die den Alterungsprozess aufhalten will, gewinnt an Fahrt. Mit Sport soll der Körper beweglich und geschmeidig erhalten werden. Mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft verändert sich der Anteil der Älteren auf Kosten der Jungen. Das führt zu neuen Herausforderungen, die wiederum die Werte beeinflussen, die wir Jugend und Alter zusprechen. «Jugend bedeutet heute Selbstständigkeit, Unabhängigkeit, fit sein in Körper und Geist», sagt Ute Frevert. Dies spiegelt unsere zunehmende Angst vor dem Älter-Werden. Dabei ist es vor allem eine Angst vor dem Autonomieverlust. Wir wollen solange wie möglich selbstbestimmt leben, nicht von anderen abhängig sein. «Je älter die Gesellschaft wird, desto stärker wird diese Angst. Frühere Gesellschaften, die weniger Gewicht auf Autonomie und Individualität legten, sahen das entspannter.»