Archivausgabe
Brennpunkt

Digitale Werkzeuge, analoger Austausch

Ursula Ammann

Wer heute studieren will, muss dafür nicht mehr zwingend in einem Vorlesungssaal sitzen. Ein Computer mit Internetzugang genügt. Studierende erwarten zwar, dass Hochschulen dem technologischen Wandel Rechnung tragen. Genauso wichtig ist ihnen aber, sich mit anderen zu treffen und kritisch auszutauschen – auch über die Digitalisierung.

Ein Student kann tagsüber einem Job nachgehen und abends einer Vorlesung vom Küchentisch aus folgen. Oder er reist um die Welt und widmet sich seinem Studium per Laptop von unterwegs – ob aus einem Strassencafé in Paris oder aus einer Hängematte in der Karibik. Die Digitalisierung macht es möglich, sich orts- und zeitunabhängig aus- und weiterzubilden. Das «Distance learning» bietet zweifelsohne Vorteile: Man spart sich zum Beispiel den Weg zur Hochschule. Es erlaubt einem aber auch, neben dem Studium zu arbeiten. Doch so sehr sich die Generation Y Flexibilität wünscht: Die Digitalisierung macht das klassische Bildungssystem nicht überflüssig. Für Emire Mustafa, Bachelor-Studentin der Betriebswirtschaftslehre an der FHS St.Gallen, ist ein reines Online-Studium keine Option. «Der Kontakt zur Klasse ist mir wichtig», sagt sie. «Ich will mich nicht zuhause hinter dem Laptop verstecken.»

Selbstreflexion muss echt sein

Wie Phil Anderegg, Master-Student der Wirtschaftsinformatik an der FHS St.Gallen feststellt, gibt es an der Hochschule vermehrt auch einen Austausch unter den Studienbereichen. Die kritische Reflexion – ob fächerübergreifend oder nicht – spielt eine grosse Rolle. «Zum Beispiel haben Skandale in der Wirtschaft schon mehrfach Anlass zu ethischen Diskursen gegeben», sagt Anderegg. Florian Wussmann, BWL-Student an der Universität St.Gallen, sagt: «Sich Wissen anzueignen, ist das Eine. Bildung heisst aber auch, das Gelernte zu reflektieren. Das kann man nur im Gespräch mit anderen.» Zwar sei der Kontakt heute auch virtuell möglich. «Doch Skypekonferenzen funktionieren erfahrungsgemäss nur bedingt.» Trotzdem findet Florian Wussmann, dass der digitalen Entwicklung in der Bildung noch mehr Rechnung getragen werden könnte. Zusammen mit Emire Mustafa und Phil Anderegg hat er im März am Schweizer Bildungsforum der FHS St.Gallen über das Thema «Maschine vs. Mensch – und Bildung?» diskutiert. Die Studierendenrunde im Anschluss ans Expertenpodium war ein Novum an der diesjährigen Austragung. Ein Fokus lag auf der Frage, was Bildungsinstitutionen im Hinblick auf den digitalen Wandel verbessern könnten.

Mehr Multimedia, mehr Mut

Für Florian Wussmann steht fest: «Wenn ein Dozent PDFs auf eine Cloud lädt und die Studierenden diese Dokumente von dort herunterladen, ist das kein Abbild des digitalen Fortschritts.» Er würde es begrüssen, wenn vermehrt multimediale Ansätze zum Tragen kämen. Als mögliches Beispiel nennt er den «Flipped Classroom» – eine Art «umgedrehter Unterricht». Bei dieser Methode nehmen Lehrer ihre Vorträge auf Video auf. Die Studierenden nutzen diese, um sich zuhause auf den Unterricht vorzubereiten. So bleibt in den Lektionen selbst mehr Zeit für Fragen und Diskussionen. Für Phil Anderegg braucht es in der Bildung mehr interaktives Arbeiten. «Das Wissen der Studierenden über Technologie sollte man besser nutzen», sagt er. Florian Wussmann wünscht sich von Hochschulen zudem mehr Mut, «sich in die digitale Welt hineinzubewegen». Dazu gehört für ihn auch, dass diese häufiger mit Unternehmen kooperieren, wenn es um Forschung und Innovation geht. Die Studierenden erwarten von den Bildungsinstitutionen aber auch, dass sie einen kritischen Diskurs über die Digitalisierung ermöglichen – so wie über andere Fachbereiche auch. Emire Mustafa findet es wichtig, dass Schulen bereits früh für Chancen und Gefahren der technologischen Entwicklung sensibilisieren. Florian Wussmann fügt an: «Es geht nicht nur darum zu wissen, wie eine Technologie funktioniert. Man muss auch erfahren, was sie für unser Leben bedeutet und wie wir damit umgehen sollen.» Eine mögliche Frage wäre zum Beispiel, welche Konsequenzen es haben kann, wenn man in sozialen Netzwerken persönliche Daten preisgibt.

Wissen, was wir Menschen wollen

Philosoph Philipp Tingler, einer der Podiumsteilnehmer am Bildungsforum, plädiert für einen Plan: «Der Mensch macht etwas, sobald es möglich ist. Doch wir müssen auch wissen, was wir als Menschen wollen.» Denn in einem sind sich alle einig: Die Technologie soll der Menschheit Nutzen bringen und nicht die Macht über sie gewinnen. FHS-Student Phil Anderegg versucht, diesen Grundsatz auch im Alltag anzuwenden. Er hat alle Benachrichtigungen auf seinem Smartphone ausgestellt. So kann er selber entscheiden, wann er etwas liest.

DIGITAL LERNEN UND LEHREN AN DER FHS

Die digitale Transformation macht auch vor Hochschulen nicht halt. Wie aber sieht das Lernen der Zukunft aus? Das Zentrum für Hochschulbildung ZHB-FHS hat ein Konzept zur Digitalisierung der Lehre an der FHS St.Gallen erarbeitet, das der Hochschulrat voraussichtlich im Juni verabschieden wird. Ziel ist es, didaktische Chancen zu nutzen, die sich dank digitaler Technologien auftun. Aufgrund des Bildungs- und Lehr-Lernverständnisses der FHS, ihrer Strategie 2015- 2022 sowie der Grundsätze für das begleitete Selbststudium sind das vor allem drei: stärkere Individualisierung des Lernens, höhere Transferorientierung im Studium und Förderung digitaler Kompetenzen der Studierenden. Ersteres soll den Studierenden mehr Freiheit bringen in Bezug auf Lerntempo, Lernort und Lernmaterialien. Letzteres soll sie befähigen, digitale Medien im Studium und später im Berufsalltag kompetent anzuwenden. Mit Blick auf eine höhere Transferorientierung ist es zentral, Präsenzunterricht und Selbststudium sinnvoll zu verzahnen. Wenn die Studierenden etwa Grundlagen im digital unterstützten Selbststudium erarbeiten, bleibt mehr Zeit, um im Präsenzunterricht komplexe Themen zu diskutieren und Problemstellungen aus der Praxis zu bearbeiten. Simulationen oder multimediale Fallstudien ermöglichen so ein praxisnahes und transferförderndes Lernen. Erfolg verspricht sich das ZHB-FHS von hybriden Lernformaten. Dabei werden Online-Lernphasen, meist im (begleiteten) Selbststudium, didaktisch sinnvoll mit Präsenzphasen verknüpft. Sie sollen digital so ausgestaltet sein, dass sie die Studierenden in ihren individuellen Lernbedürfnissen, Lernwegen sowie Lernstrategien unterstützen. Studiengänge nach Bologna sehen solche Formate bereits vor, zudem besitzt die FHS mit Moodle ein passendes Lernmanagement-System. Wegen der unterschiedlichen Zielgruppen, Lehr- und Lerninhalte und Lernziele machen standardisierte digitale Formate für alle Fachbereiche und Studiengänge keinen Sinn. Vielmehr müssen geeignete Studienstrukturen geschaffen sowie finanzielle, organisationale und personelle Ressourcen bereitgestellt und rechtliche Fragen zu Urheber-, Prüfungs- und Datenschutzrecht u.a. geklärt werden. Und die digitalen Bildungsformate sind erfolgreich zu verankern. Dazu bieten sich didaktisch begleitete Pilotprojekte in ausgewählten Studiengängen an. So können wertvolle Erfahrungen gesammelt werden, die in die Weiterentwicklung der Module und Studiengänge einfliessen. (sxa)