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Schlusspunkt

Die ideale Geliebte on demand

Ludwig Hasler, Publizist und Philosoph

Her mit der/dem idealen Geliebten! Ein uralter Menschheitstraum. Analog ging er selten auf: Das Leben ist kurz, die Auswahl klein. Digital wird er eher wahr: Algorithmen paaren passgenauer, eine Frage der Datenmenge.

Ich rede nicht von Tinder (taugt eher für Notfälle). Seriösere Online-­Dating-Portale holen gründliche Auskünfte ein. Bei eDarling müssen Kunden erst mal 283 Fragen beantworten, daraus wird dann ein Profil gebastelt: extrovertiert, verträglich, gewissenhaft? Die ganze Wunschpalette: Alter, Gewicht, Haarfarbe? Intelligent, lustig, romantisch? Vorlieben: Hunde, Bücher, Mac statt Windows?

Ist das noch Flirt? Eher Fahndung. Aller­dings mit Erfolg. Nicht nur ­findet sich bald jedes dritte Paar über Online-Dating. Algorithmisch sortierte Partnerschaften halten auch länger als analog geknüpfte. Empirisch ist das belegt – in einer Studie der University of Chicago, die 19’000 Paare befragte. Logisch ist es plausibel: Menschen mit ähnlichen Neigungen und Interessen verstehen sich besser. Und Algorithmen fischen diese Ähnlichkeit verlässlicher heraus. Sie sind ja nicht beteiligt, nicht befangen, sie lassen sich durch keinen romantischen Blick erweichen. Sie gruppieren, was zusammenpasst, basta. Der Rest fällt durch.

Symmetrie ist praktisch

Voilà, die passgenaue Paarung. Null Reibung, kaum Scheidung. Gleicher Job, gleiches Hobby, gleicher Geschmack. Volles Verständnis hin wie her. Aber null Romantik, fürchten Kritiker. Nicht zwingend, die kann auch so erwachen. Und wird nicht dauernd ruiniert durch blöde Missverständnisse. Symmetrie ist praktisch, jedenfalls für Leute, die auch zu zweit gern ihre Ruhe haben. Andere ziehen Asymmetrie vor. Ich zum Beispiel will partout keine Frau, die in jeder Hinsicht so tickt wie ich selber. Ich will Bereicherung, Verwandlung, Befreiung von mir selbst. Sonst könnte ich ja prima allein bleiben. Ich stelle mir amüsiert vor: Ich tippe ein paar Dutzend Merkmale meiner ­idealen Geliebten ein, Sortier-Algorithmen checken ganze Datenozeane ab – schwupp, steht die Imaginierte leibhaft vor mir. Die Geliebte on demand, perfekt – bis ich die Augen reibe: O Gott, was ich da sehe, das bin ja ich selber. Mein Bestellzettel. 

Zurück zum analogen Flirt?

Man kann etwas Asymmetrie und eine Brise Zufall natürlich ins Programm einbauen. Doch warum dann nicht gleich zurück zum analogen Flirt? Abends in der Bar. Um halb elf scheint die Sache aussichtslos, auch die Dunkle hinten an der Theke, zu gross, zu laut. Um Mitternacht sieht die Lage komplett anders aus… Macht des Schicksals. Dating-Apps versprechen Abenteuer. Versichern sie nicht eher gegen Unsicherheit? Mathematik als erotische Risikominderung? Flirt ohne Angst? Es ist die Angst, die uns aus dem Alltag wirft. Menschliche ­Affären sind kompliziert, man kann sie nicht berechnen. Mit dem Flirt ist es wie mit Partys: Die ungeplanten sind die besten. Glück auf Bestellung? Arthur Schnitzler: Glück ist, was die Seele durchrüttelt. Nicht, was sie befriedigt. 

Mit dem Navi landen wir, wo wir hinwollten. Woher aber wissen wir, wohin wir wollen?