Archivausgabe
Brennpunkt

Wo Ampeln mit Autos kommunizieren

Andrea Sterchi

Alltagsdinge und Maschinen werden immer intelligenter und so Teil eines gigantischen Netzwerks – des Internets der Dinge. Das hat Vorteile: mehr Komfort, höhere Sicherheit, effizientere Produktion, bessere Energieeffizienz. Und birgt Risiken: mögliche Fehlentscheide, Verlust der Datenhoheit, Bevormundung.

«Smart Home» und «Smart City». Anhand dieser beiden Begriffe lässt sich am ehesten erahnen, was dieses IoT ist, das «Internet of Things» oder eben «Internet der Dinge», und welche Möglichkeiten es bietet. Im intelligenten Haus schaltet sich der Trockner ein, wenn die Strompreise am tiefsten sind, sorgt die Heizung für wohlige Wärme bevor wir zu Hause sind und ist die Kaffeemaschine beim Aufstehen betriebsbereit. In der intelligenten Stadt lotsen Leitsysteme die Autofahrerinnen und Autofahrer zu freien Parkplätzen, lenken sinnvoll aufeinander abgestimmte Ampeln den Verkehr und werden Abfallcontainer geleert, wenn sie voll sind. Dank smarten Geräten und Systemen steigen Wohnkomfort, Lebensqualität, Sicherheit und Energieeffizienz. Mit dem IoT sind wir auf der nächsten Entwicklungsstufe angelangt. Zuerst verband das Internet Menschen via E-Mail, dann Mensch und Maschine, und jetzt Maschine und Maschine.

Kommunizieren über die Cloud

Kommunizieren im IoT also Dinge direkt miteinander? «Nicht bilateral», sagt Lukas Schmid, Leiter des Instituts für Innovation, Design und Engineering an der Fachhochschule St.Gallen IDEE-FHS. Das Institut erforscht, welchen Nutzen «smarte Produkte» Unternehmen bringen und berät sie, wie sie mit einfachen, intelligenten Prototypen den Kreativitätsprozess zur Entwicklung neuer Dienstleistungen oder Produkte anstossen können. «Dinge und Maschinen sind mit Sensoren bestückt. Diese generieren Daten, die in einer Cloud gespeichert und analysiert werden», erklärt Lukas Schmid. Infolge würden Aktionen ausgelöst, die wieder Objekte und Maschinen ausführten. «Zum Beispiel sammelt jeder Tesla Daten über den Strassenzustand. Diese stehen dann allen Teslas zur Verfügung.»

Im Smart Home interagieren die Geräte etwa über eine App oder einen Lautsprecher miteinander, gesteuert vom Menschen. Oder die Steuerung ist automatisiert. An den Fenstern messen Sensoren Lichtstärke und Temperatur. Sind die vorgegebenen Parameter erreicht, fahren die Jalousien herunter noch bevor wir es als zu hell oder zu warm empfinden.

Immer mehr Sensoren liefern Daten. Irgendwann haben wir die perfekt vermessene Welt.

Milliarden von Sensoren

In der Industrie sammeln Sensoren in den Produktionsmaschinen Daten. Mithilfe dieser können Prozesse optimiert werden oder ermöglichen eine vorausschauende Wartung. Praktisch jedes Objekt kann Daten sammeln. «Experten schätzen, dass 2020 bis zu 50 Milliarden Objekte Daten generieren. Das sind gut sieben Objekte pro Person. Irgendwann haben wir die perfekt vermessene Welt», sagt Lukas Schmid.

Das IoT bietet Unternehmen enorme Chancen. «Viele der aktuell erfolgreich wachsenden Unternehmen sind daran interessiert, Zugang zu diesen Daten zu erhalten und sie zu nutzen», sagt Urs Sonderegger, Projektleiter am IDEE-FHS und Studiengangsleiter des Bachelor in Wirtschaftsingenieurwesen. «Erfolgreich werden in Zukunft jene Unternehmen sein, die aus den gesammelten Daten einen guten Code für automatisierte Prozesse programmieren können.» Den Unternehmen gehe es darum, von Usern spannende Daten zu erhalten.

Ihrer Rolle als «Datenlieferant» sind sich viele Menschen nicht bewusst. Oft stören sie sich auch nicht daran, dass ihre Daten nicht anonymisiert werden. Längst geht es nicht mehr darum, welche Informationen wir preisgeben wollen. «In vielen wesentlichen Punkten können wir das nicht mehr selber entscheiden, wir sind der Sammelwut ausgeliefert und verlieren unsere Datenhoheit. Oder können ohne ihre Preisgabe gar nicht an Dienstleistungen teilhaben», sagt Urs Sonderegger. Unter dem Strich nehme der Nutzen aber zu, deshalb sei die Welle des IoT nicht aufzuhalten. «Und der Nutzen steigt umso mehr, je bereitwilliger wir unsere Daten freigeben. Diese Bereitschaft wird zunehmen.»

Der Nutzen ist umso höher, je mehr Daten wir freigeben. Die Bereitschaft dazu steigt.

Risiko von Fehlentscheiden

Der Nutzen hängt auch von der Güte der Datenanalyse ab. Diese berge aber ein Risiko, sagt Lukas Schmid. Vermeintliche Zusammenhänge würden als tatsächliche angesehen und man agiere entsprechend. Bei einer Korrelation bestehe aber nicht zwingend eine Kausalität. Das heisst, die Beziehung basiert nicht unbedingt auf Ursache und Wirkung. «Wir laufen Gefahr, Fehlentscheide zu treffen.» Das geschehe vermutlich bereits heute, denn die bestmögliche Datenanalyse gebe nur Hinweise auf Korrelationen. «Um abzuschätzen, ob eine Kausalität besteht, braucht es zusätzliche Intelligenz. Das kann die künstliche Intelligenz zumindest heute noch nicht.»

Bis zur Bevormundung

Das hat Folgen. Zumindest für die einzelne Person. Ein Beispiel: Autoversicherungen gerieten in Verruf, als Personen einer bestimmten Nationalität teurere Prämien bezahlen mussten, weil sie laut Statistik mehr Unfälle verursachten. Für den Einzelnen gilt das aber nicht. Immer häufiger analysierten automatisierte Prozesse biografische Daten. «Entscheide basierend auf solchen Analysen mögen für die Allgemeinheit gut sein, aber fraglich für die einzelne Person», sagt Lukas Schmid. «Im IoT zählt die Allgemeinheit mehr als das Individuum.

Ein anderes Beispiel: Sensoren in der Wohnung und im Teppich zeichnen auf, wie sich eine Person bewegt. Eine ältere Person, die sich unsicherer bewegt, muss vielleicht eher in ein Heim, da die Versicherung die Parameter dafür bestimmt. Die Datenanalyse diskriminiert also eine einzelne Person wie im ersten oder bevormundet sie wie im zweiten Beispiel.

Noch ist offen, wie weit das IoT gehen kann und wie gut es funktioniert. Spannend sei die Frage, wie intelligent ein Auto oder ein Roboter werden könne, sagt Lukas Schmid. Und vor allem: wie kreativ und empathisch.