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Brennpunkt

Neue «Mitbewohner» im Test

Lea Müller

Die Erkenntnisse des ersten Living-Lab-Projekts zeigen: Um technische Assistenzsysteme bei älteren Menschen zuhause zu testen, braucht es eine Vorevaluation in einem «echten» Labor. Die Fachhochschule hat dazu im Startfeld Innovationszentrum in St.Gallen ein «AGELab» eröffnet.

In den letzten zwölf Jahren wurden in Europa über eine Milliarde Euro in die Forschung und Entwicklung von Assistenzsystemen zur Unterstützung älterer Menschen im Alltag (AAL Active & Assisted Living) investiert. «Trotz hoher Investitionen sind viele dieser Innovationen auf dem Markt bislang wenig erfolgreich», sagt Urs Guggenbühl, der mit Beda Meienberger das Kompetenzzentrum AAL an der FHS St.Gallen leitet. Es gebe viele mögliche Gründe, die einer Verbreitung dieser Lösungen im Wege stehen könnten, zum Beispiel eine ungenügende Bedienbarkeit der technischen Lösungen, eine Stigmatisierung durch unpassendes Design oder hohe Anschaffungs- und Betriebskosten.

Das Konzept Living Lab 65+ der FHS St.Gallen liefere hier einen entscheidenden Vorteil, sagt Urs Guggenbühl. «Indem wir ältere Menschen in ihrem privathäuslichen Umfeld in die Testung von AAL-Lösungen einbinden, können die Systeme gemäss den echten Bedürfnissen und Wünschen entwickelt und angepasst werden.» Beim ersten Projekt «AALivingLab@home» (siehe Seite 34) zeigte sich unter anderem, dass ein technisches Produkt vor der Installation in den Haushalten zunächst ersten Funktionstests in einer künstlichen Laborsituation unterzogen werden sollte. Zu diesem Zweck eröffnete die FHS das «AGE-Lab», das eine Zentrale für die Privathaushalte darstellt und gleichzeitig Versuchsund Forschungsraum ist. Das Labor ist im Startfeld Innovationszentrum in St.Gallen angesiedelt – in einer kreativen Umgebung, die auch Plattform für innovative Startups und KMU im Bereich AAL ist.

Verhaltensmuster beobachten

Für die Hersteller von AAL-Technologien stellen das AGE-Lab und die Living Labs eine Möglichkeit dar, ihre Lösungen zu prüfen, bevor sie auf den Markt kommen. Ein Beispiel ist das Start-up von Susanne Dröscher und Thomas Helbling. Die ETH-Doktoren haben ein neues, intelligentes Alarmsystem für die Wohnung entwickelt und am Hackathon der FHS St.Gallen erstmals als Konzept getestet. «Caru» (Bild auf Seite 32) ist eine Art «Mitbewohner», der über eingebaute Sensoren das Verhaltensmuster der Personen im Haushalt erfasst und merkt, wenn etwas nicht stimmt. Zum Beispiel, wenn im Badezimmer über einen aussergewöhnlich langen Zeitraum keine Bewegung registriert wird. In diesem Fall kann das System eine Vertrauensperson informieren. «Es soll einfach sein, Kontakt aufzunehmen – im Alltag und vorallem im Notfall», sagt Susanne Dröscher. «Caru» sammle nicht nur Informationen, sondern reagiere auch, wenn jemand «Hilfe!» rufe. Das System kommuniziert mit der betroffenen Person und kann eine Sprachverbindung zu einer Vertrauensperson aufbauen. Es wird aber nicht wie andere Notrufgeräte am Körper getragen, sondern unauffällig in der Wohnung «platziert».

Für drei Zielgruppen entwickelt

Susanne Dröscher und Thomas Helbbling haben ihr System für drei Zielgruppen entwickelt: ältere Menschen, deren Angehörige und das Pflegepersonal. Doch entspricht es auch den tatsächlichen Bedürfnissen? Das möchten die Hersteller nun herausfinden. Das Gerät ist derzeit in Wohn- und Pflegezentren von Tertianum als Pilot im Einsatz – und wird im AGELab der FHS getestet.