Brennpunkt
Unsere Arbeitswelt auf den Kopf gestellt
Andrea Sterchi
Den Köhler gibt es schon lange nicht mehr, die Webmaschine ersetzte einst die Weberin, dafür brauchte es plötzlich Lokomotivführer und Informatiker. Stets veränderte der technische Fortschritt die Arbeitswelt: manche Berufe verschwinden, andere ändern sich, neue entstehen. Mit der Digitalisierung steht der nächste grosse Wandel bevor. Algorithmen ersetzen den Sachbearbeiter, dafür können Sie in Zukunft als Avatar-Designerin Karriere machen.
Berufswunsch? Cyber-Stadtplaner. Data Spezialistin. Mensch-Mensch-Beziehungsberater. Noch mag das futuristisch anmuten, doch Berufe wie diese werden wohl bald Wirklichkeit. Die digitale Transformation verändert unsere Arbeitswelt einschneidend. Wo Aufgaben automatisiert werden können, übernehmen Roboter und Algorithmen. Mit der Folge: Manche Berufe wird es eventuell bald nicht mehr geben. Zum Beispiel die Kassierin. Schon heute übernehmen Kundinnen und Kunden mit Self-Scanning und Self-Checkout einen Teil ihrer Arbeit. Standardisierte Tätigkeiten werden automatisiert, hier erledigen, bei Bankgeschäften etwa, Kunden bereits seit Jahren gratis, was früher der Bankangestellte getan hat. Zunehmend erledigt gar ein Roboter dessen Job oder denjenigen des kaufmännischen Angestellten in der Buchhaltung.
Nicht überall arbeiten Maschinen günstiger
«Verschwinden werden vor allem jene Berufe, wo keine Beratung, keine menschlichen Fähigkeiten wie Empathie nötig sind», sagt Sibylle Olbert-Bock, Leiterin Kompetenzzentrum Leadership und Personalmanagement an der FHS St.Gallen. Letztlich entscheide der Preis mit. Bei Tätigkeiten, die für den Menschen einfach für Maschinen jedoch schwierig auszuführen seien, lohne sich die Automatisierung nicht. «Nur, wo werden dann diese Tätigkeiten ausgeführt? Schon heute lagern Unternehmen auch Dienstleistungen aus. Chat-Bots können zwar Mitarbeitende im Call-Center ersetzen. Ist das aber nötig, wenn in Rumänien Menschen diese Arbeit in menschlicher, deutscher Sprache und günstiger erledigen?»
Technische Lösungen ersetzen fehlende Arbeitskräfte
Verschwinden können Berufe auf zwei verschiedene Arten. Einerseits ersetzen Maschinen den Menschen, infolge braucht es diesen Beruf nicht mehr. Andererseits wird ein Beruf unattraktiv, etwa weil er schlecht bezahlt ist oder es keine Perspektiven gibt. Dann wollen ihn auch immer weniger Personen ausüben. Die fehlenden Arbeitskräfte müssen durch andere Personengruppen ersetzt werden oder man behilft sich mit technischen Lösungen. In der Landwirtschaft beispielsweise übernehmen ausländische Erntehelfer oder moderne Erntemaschinen die Arbeit, in der Pflege entlasten Roboter das Pflegepersonal.
Den Menschen braucht es immer noch
Manche Berufe werden zwar nicht verschwinden, sich aber deutlich wandeln, indem bisherige Aufgaben entfallen während neue hinzukommen. So glaubt Sibylle Olbert-Bock, dass es die Kassiererin weiterhin geben könnte. «Je nach Art des Geschäfts berät sie die Kundschaft bei Produkten und Designs oder unterstützt sie bei der Benützung von kundenbezogenen Apps.» Oder sie räumt Gestelle ein, wenn sich der Einsatz eines Roboters aufgrund der Warenmenge nicht lohnt oder die Produkte bei laufendem Geschäft variabel eingeordnet werden müssen.
Auch der Taxifahrer werde nicht notwendigerweise so schnell verschwinden, glaubt Sibylle Olbert-Bock. So seien beim autonomen Fahren viele rechtliche Fragen nicht geklärt, etwa jene der Haftung. Vielleicht verschwinde der Beruf des Taxifahrers eher aus anderen Gründen. Etwa aufgrund von Geschäftsmodellen, die unter Umständen von der Trägheit von Rechtssystemen profitieren könnten aber die mittelfristige Bereitschaft und Möglichkeit zur Ausführung von Leistungen beeinflussten. Ein Beispiel biete Uber auf unterschiedliche Weise in verschiedenen Ländern. «Aber wo auch immer Maschinen die Arbeit übernehmen, braucht es den Menschen immer noch. Für die Bedienung, Entwicklung, Instandhaltung oder Überwachung», sagt Sibylle Olbert-Bock.
Digitale Persönlichkeit für die virtuelle Realität
Welche neuen Berufe wird uns die Digitalisierung bringen? Zum einen solche, die auf den neuen Technologien bauen. Einen Avatar-Designer zum Beispiel. Will ich mich in der virtuellen Welt bewegen, brauche ich eine digitale Persönlichkeit. Wer will ich virtuell sein? Wie kann ich mich attraktiv machen, damit ich mich gegenüber anderen abhebe? Eine Avatar-Designerin setzt meine Wünsche um.
Berater für Beziehungsarbeit
Zum anderen entstehen Berufe an der Schnittstelle Technologie-Mensch. Wo Menschen und Roboter im gleichen Team arbeiten, stellt ein Mensch-Roboter-Teambuilder sicher, dass beide bezüglich Sicherheit und Kommunikation optimal Hand in Hand arbeiten können. Vielleicht wird es sogar für die einfachsten Situationen eine Beziehungsgestalterin Mensch-Mensch-Interaktion brauchen. «Meines Erachtens verlernen die Menschen bereits heute immer mehr, wie man tragfähige Beziehungen unterhält und so miteinander umgeht, dass man dauerhaft zusammenleben kann», sagt Sibylle Olbert-Bock. Was ich nicht leisten kann muss dann jemand anders für mich tun. Zudem führten die regelmässig überzogenen Selbstdarstellungen im Netz dazu, dass Menschen immer unzufriedener mit dem menschlichen Gegenüber würden. «Auch permanentes Feedback höhlt Beziehungen aus.» Hier schlägt das Pendel in die andere Richtung. Gefragt sind Beraterinnen und Berater, die in den Beziehungen vermitteln und beraten, was man tun muss, wenn virtuelle Bekanntschaften auf eine komplexe Realität treffen. «Und wie man das Zusammenleben aushält, wenn man es nicht einfach wegschalten oder auf getrennte Wohnungen verteilen kann.»
Nicht alle sind automatisch für den Wandel qualifiziert
Ob nun Berufe ganz verschwinden, sich verändern oder neu entstehen, die grosse Herausforderung wird sein, wie die Gesellschaft und die Arbeitswelt mit denjenigen Menschen verfährt, die nicht für den Techniksprung ausreichend schnell qualifiziert sind. Wodurch werden sie aufgefangen in einer Gesellschaft, in der sich der Einzelne stark über seine Arbeit definiert? Wie kann man sie weiterbilden? Wo öffnen sich neue berufliche Türen oder andere zur gesellschaftlichen Teilhabe? Und ist es sinnvoll, gewisse Berufe künstlich am Leben zu halten? Das Risiko wächst: «Wird alles von der Technik vordefiniert, dann bleibt kein Spielraum mehr. Wo es keinen Spielraum gibt, kann man sich kaum selbst weiterentwickeln», sagt Sibylle Olbert-Bock.
Und was wäre sie in der Zukunft? «Kulturmacherin vielleicht. Dann beschäftige ich mich mit Fragen wie: Wofür stehen wir? Was macht unsere Kultur jenseits von technischen und wirtschaftlichen Standards aus? Was braucht es, damit im kleinen ein Wir-Gefühl entsteht, das für uns und andere dauerhaft interessant bleibt? Letztlich macht es doch genau dieser Austausch über Besonderheiten so spannend.»