Erkenntnis
Russland, der fremde Nachbar
Wilfried Lux/Irene Hotz Glanzmann
Unternehmen operieren vermehrt international und damit kulturübergreifend. Dies birgt gute Chancen, in neue Märkte vorzudringen. Aber es lauern auch Gefahren, insbesondere dann, wenn man sich der kulturellen Unterschiede zu wenig bewusst ist und sie nicht berücksichtigt. Das zeigt ein Projekt, das die Landes- und Unternehmenskultur am Beispiel von Schweizer Firmen in Russland untersucht hat.
Das interdisziplinäre Projekt «Intercultural Performance Management» hatte zum Ziel, die Unternehmensund Landeskultur zu untersuchen und deren Auswirkungen auf die Unternehmensleistung zu beschreiben. Die Fragen wurden am Beispiel von Schweizer Firmen, die in Russland tätig sind, untersucht. Russland wurde unter anderem deshalb ausgewählt, weil die landeskulturellen Unterschiede zur Schweiz offensichtlicher sind, als dies in ähnlichen Kulturen der Fall wäre. Das Projekt dauerte fast zwei Jahre, beteiligt waren die Firmen Denison Consulting Europe, intercultures swiss gmbh, Bühler, Novartis und LafargeHolcim. Seitens der FHS waren das Institut für Unternehmensführung, die Lehre Wirtschaft und das Institut für Soziale Arbeit involviert. Im Projektteam waren neben den Autoren Karl-Heinz Oehler, Partner und Managing Director Denison Consulting Europe, sowie Regula Flisch und Christa Uehlinger von der FHS St.Gallen.
Die Landeskultur messen
Zur Messung der Unternehmenskultur kam das Tool von Denison Consulting zum Einsatz. Berücksichtigt wurden die Leistungsmerkmale Mission, Involvierung, Konsistenz und Anpassungsfähigkeit. Die Messwerte der einzelnen Unternehmen wurden mit allen Unternehmen in der firmeneigenen Datenbank verglichen. Grundsätzlich gilt: Je stärker ein Leistungsmerkmal ausgeprägt ist, desto besser wirkt es sich auf die Unternehmensleistung aus. Im Einzelnen konnten folgende Ursache-Wirkungsbeziehungen identifiziert werden: Mission & Konsistenz: Rentabilität; Mission & Anpassungsfähigkeit: Innovation, Umsatzwachstum und Marktanteil; Konsistenz & Involvierung: Qualität und Mitarbeiterzufriedenheit; Involvierung & Anpassungsfähigkeit: Kreativität und Kundenzufriedenheit. Um die Landeskultur zu erfassen, wurden bereits erforschte Kulturdimensionen und Kulturstandards spezifisch für Russland und die Schweiz weiterentwickelt. Folgende Aspekte wurden berücksichtigt, da sich hier die Unterschiede am augenfälligsten zeigten: Zeitorientierung, Unsicherheitsvermeidung, Macht und Hierarchie, Beziehungsorientierung sowie Fatalismus und Emotion. Während bei den unternehmenskulturellen Merkmalen eine eindeutige Bewertung vorgenommen werden konnte, war dies für die landeskulturellen Aspekte nicht möglich. Es musste im Einzelfall untersucht werden, wie sich hohe oder niedrige Werte auf die Geschäftstätigkeiten auswirken.
Die Dimension Kultur kann sich durchaus in harten Fakten und Zahlen niederschlagen.
Reibungsverluste vermeiden
In Bezug auf die Landeskultur zeigt sich bei den Schweizern tendenziell eine stärkere Fokussierung auf Pünktlichkeit, logische Lösungen und Eigeninitiative, Regelkonformität und Sicherheit. Wohingegen die Russen eher situativ flexibel vorgehen, auch in Bezug auf Regeln und Termine. Zudem sind die persönliche Beziehung und der Kontext wichtig. Die Berücksichtigung dieser kulturellen Unterschiede kann Reibungsverluste minimieren und das Potenzial der Mitarbeitenden positiv unterstützen. Dies wirkt sich auch auf das Unternehmensergebnis aus.
Finanzielle Auswirkungen
Mit den Unternehmen wurden Kennzahlen definiert, die die finanzielle und nicht-finanzielle Performance des Unternehmens massen. In einer qualitativen Analyse wurden pro Unternehmen für jede definierte Kennzahl die jeweiligen Werttreiber oder Risikofaktoren identifiziert. Viele dieser Werttreiber und Risikofaktoren sind sowohl in den Leistungsmerkmalen der Unternehmenskultur als auch in den Werthaltungen der Landeskultur zu finden. Somit ist nachvollziehbar, dass sich alle kulturellen Faktoren und Leistungsmerkmale auf das Unternehmensergebnis auswirken. Statistisch nachweisbar ist diese Aussage aufgrund der tiefen Teilnehmerzahl in diesem Projekt aber nicht.
Beim Umsatz waren Kompetenz der Vertriebsmitarbeitenden, Motivation und Teilen von Wissen die Werttreiber. Als Risikofaktoren stellten sich mangelnde Eigeninitiative und Fehlerkultur heraus. Bei der Rentabilität in neuen Märkten zeigten sich innovative Mitarbeitende und ihre Kompetenzen sowie die Kundennähe als Werttreiber; Risikofaktoren können eine stark ausgeprägte Hierarchie und Vorbehalte gegenüber Veränderungen sein.
Der vermeintlich «weiche Faktor» Kultur kann sich also durchaus als hart erweisen und sich klar in Zahlen niederschlagen. Das Projekt war ein erster Schritt, diese Verbindung aufzuzeigen.