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Brennpunkt

«Eine Verkettung glücklicher Umstände»

Lisa Brunner

Wer sich eine Karriere «bauen» will, braucht dafür einen Plan. Vielleicht auch einen «Plan B». Aber reicht dies als solides Fundament, um eine Karriere nicht ins Wanken zu bringen? Reto Eugster, Leiter des Weiterbildungszentrums der Fachhochschule St.Gallen, verrät im Gespräch seine Haltung und seine Methode zur Karriereplanung.

Reto Eugster, haben Sie Karriere gemacht?

Reto Eugster: (zögert einen Moment) Eine gute Frage. Aber ja, ich finde, ich habe Karriere gemacht.

Wieso empfinden Sie Ihren Berufsweg als Karriere?

Eugster: Weil ich gemessen an meinen Berufszielen und den Möglichkeiten, die sich mir boten, das erreicht habe, was ich wollte und mir Freude macht. Das fing schon zu meiner Zeit als Student an. Ich wollte unbedingt gesellschaftstheoretische Konzepte studieren und schaffte dies. Dann wollte ich an einer Hochschule arbeiten und mich neuen Themen zuwenden. Auch das ist möglich geworden. In der Pionierphase des Internets war ich bei fulminanten Entwicklungen dabei und studierte die Logik Neuer Medien. Nun quasi zum Abschluss meiner Berufskarriere leite ich das 2013 neu geschaffene Weiterbildungszentrum der FHS St.Gallen. Mein Berufsweg war eine Verkettung glücklicher Umstände.

Was ist das Fundament für eine erfolgreiche Karriere?

Eugster: Einen Plan zu haben und zu wissen, was man will, woran man Freude hat, ist gut und hilfreich. Doch wichtiger erscheint mir, Chancen und Optionen im Berufsleben zu erkennen und zu nutzen. Der ursprüngliche Karriereplan dient nur als eine Art Hintergrundfolie. Wirklich Karriere machen diejenigen, die von ihren Plänen abweichen und Gelegenheiten nutzen können. Es geht darum, ein Gefühl für die Gunst der Stunde zu entwickeln.

Wer baut, will meistens hoch hinaus. Gilt das auch für die Karriere? Führt ein Karriereschritt immer nach oben?

Eugster: Ich glaube, ein Berufsweg muss nicht zwingend in eine Richtung verlaufen. Laufbahnentwicklung bedeutet nicht nur einen Aufstieg in einer Organisation mit mehr Verantwortung, mehr Kompetenz und mehr Lohn. Betrachtet man die biografische Entwicklung, kann eine radikale Richtungs- und Branchenänderung ein wesentlicher Schritt sein. Entschliesst sich zum Beispiel ein CEO, nicht mehr im Management tätig zu sein, sondern fortan literarische Texte zu schreiben, revolutioniert dies Karriere und Laufbahn. Erfolg hat, wer Leidenschaft für das entwickeln kann, was er tut.

Gilt man in der Gesellschaft nicht als gescheitert, wenn man bewusst einen Schritt zurück macht?

Eugster: Auf den ersten Blick vielleicht schon. Doch beim näheren Betrachten ist ein vermeintlicher Schritt zurück keinesfalls gleichbedeutend mit Scheitern oder Karrierebruch. Wenn man sich weiterentwickeln will, merkt man, dass auch Umwege Wege sind. Und zwischendurch braucht es einen Schritt zurück, um die Ausgangslage zu verändern. Ich bin in verschiedenen Berufsphasen Student beziehungsweise Lernender gewesen und habe Anlauf für neue Entwicklungen genommen.

Auf Baustellen geht es oftmals eher rau zu und her. Hilft es auch im Berufsleben, wenn man nicht zimperlich ist?

Eugster: Ich stelle mir vor, dass man auf dem Bau nicht zimperlich sein sollte. Die Arbeit ist hart und herausfordernd. Das hat einen metaphorischen Wert für den Bau an der eigenen Karriere. Bei der Reflexion der eigenen Möglichkeiten ist Zimperlichkeit im Umgang mit sich selbst hinderlich (lacht).

Bildungsbiografien sind heute sehr heterogen. Weshalb?

Eugster: Man kann auf verschiedenen Wegen dasselbe lernen. Laufbahnen entwickeln sich nur selten gradlinig. Früher hat man sich für einen Beruf entschieden und diesen oft lebenslang ausgeübt. Wer heute zum Beispiel ein Studium in Pflege oder eine kaufmännische Grundausbildung abschliesst, überlegt sich bereits nach wenigen Jahren, welche Weiterbildung folgen könnte. Hinzu kommen Funktionswechsel, zum Beispiel die Übernahme einer Führungstätigkeit. Aktuell beschleunigt sich der Zerfall von Berufsprofilen. Die Digitalisierung wälzt unterschiedliche Branchen radikal um. Und wir stehen teilweise erst am Anfang dieser Entwicklung.

Ein Bauwerk besteht über mehrere Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte. Wie lange hält eine Berufskarriere?

Eugster: Sicher länger, als man denkt. Dass der berufliche Zenit im Alter von 40 erreicht sei, muss hinterfragt werden. Wegen des Fachkräftemangels ist Fachpersonal heute länger gefragt als noch vor ein paar Jahren. Nehmen wir die Krankenpflege als Beispiel oder die Informatik-­Branche. So verschieden hier die Geschäfte sein mögen, der Mangel an Fachkräften wird uns in den nächsten Jahren mehr und mehr zu schaffen machen, gerade auch in der Ostschweiz.

Was würden Sie heute anders machen, wenn Sie am Anfang Ihrer Berufslaufbahn stünden?

Eugster: Spontan und unbescheiden sage ich: Nichts! (überlegt) Wenn ich nochmals am Anfang meiner beruflichen Entwicklung wäre, würde ich höchstens früher damit beginnen, das Lernen zu lernen. Aus heutiger Sicht ist das die Schlüsselkompetenz. Aber wie gesagt, es überwiegt die positive Bilanz. Ich konnte tun, was mir Freude machte. Nur gerade einen Bruch gibt es in meiner Karriere. Als Jugendlicher wollte ich Formel-1-Rennfahrer werden, ein nächster Jo Siffert. Viel ist daraus nicht geworden. (schmunzelt)

Prof. Dr. Reto Eugster, Leiter Weiterbildungszentrum FHS St.Gallen

Reto Eugster ist seit über 25 Jahren im Bildungsbereich tätig. Er lehrt sowohl in Bachelor-Studien wie in Masterprogrammen. Seine Schwerpunkte in der Lehre sind: Konflikttheorie und -vermittlung, Beratungswissenschaft und Beratungsmethodik, Medienwissenschaft und Medienpädagogik. Seit Februar 2013 leitet er das Weiterbildungszentrum der FHS St.Gallen. Zuvor war er Institutsleiter. Seine Hobbys: Fotografie, Literatur, Blogging – und eine Spur Motorsport. (BRE)