Archivausgabe
Getroffen vor dem «Gleis 8»

«Kunst verbindet Menschen seit jeher»

Nina Rudnicki

Wer durch die FHS St.Gallen streift, trifft nicht nur auf Studierende, sondern auch auf Kunstliebhabende. Auf vier Etagen sind Werke berühmter Künstler öffentlich ausgestellt. Verantwortlich ist Maria Nänny, Dozentin für wissenschaftliches Schreiben. Kunst, sagt sie, sei nie ein Nebenschauplatz der Menschheit, sondern ihr vereinendes Element.

Frau Nänny, in den Gängen der FHS St.Gallen hängen Werke von Autoren und Künstlern wie Max Frisch, Eugène Ionesco und Max Bill. Wie ist die FHS an diese Kunstwerke heran gekommen?

Maria Nänny: Es handelt sich um Druckgrafiken aus der Erker-Presse in St.Gallen. Wir sind in der glücklichen Lage, eine Vielfalt dieser Werke aus der Zeit zwischen 1970 und 2008 auszustellen und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seit die Erker-Galerie vor drei Jahren schloss, dürfen wir einige Werke hier beherbergen. Dazu gehören auch bibliophile Bücher, also schön gestaltete Bücher mit Text und Bild. Zwei Könner, der eine ein Maler oder Bildhauer, der andere ein Dichter, Denker oder Philosoph, schufen je gemeinsam eine Seite eines solchen Buches.

Die FHS ist allerdings keine Kunsthochschule. Wie passt Kunst an diesen Ort?

Nänny: Das Fachhochschulzentrum ist ein Neubau und öffentlich. Wir haben mit den zum Teil grossformatigen Erker-Werken Kunst am Bau realisiert, die zu allen Neubauten gehören sollte. Ausserdem hat Kunst einen Zweck und einen Gebrauchswert. Sie muss ausgestellt, angeschaut und gebraucht werden. Im ersten Obergeschoss war beispielsweise auch schon ein Blatt aus einem bibliophilen Buch zum Thema «Vorbild» der deutschen Schriftstellerin Margarete Mitscherlich ausgestellt. Darum, Vorbild zu sein, geht es auch in der Bildung. Kunst als Vorbild, und Bildung als Vorbild, das sind starke Parallelen.

Wie reagieren die Studierenden auf die Kunst am Bau?

Nänny: Wir sind ja in der Tat keine Kunsthochschule, sondern bilden Personen in den Bereichen Wirtschaft, Pflege, Soziales und Technik aus. Ich werde nur hin und wieder von Studierenden auf die Kunst angesprochen. Die sind dafür aber umso begeisterter und manchmal von den Werken berührt. Und es gibt externe Besucherinnen und Besucher, die nur wegen der Kunst an die FHS kommen.

Wie viele Besucherinnen und Besucher sind das pro Jahr?

Nänny: Das zu zählen ist schwierig, weil man ohne Anmeldung durch das Fachhochschulzentrum gehen und sich die Kunstwerke anschauen kann. Wir wissen allerdings, dass sich am Empfang regelmässig Interessierte über die Ausstellung erkundigen. Zudem mache ich im Jahr etwa zwölf Führungen mit durchschnittlich zehn bis zwanzig Personen. Es gibt auch Veranstaltungen wie letztes und dieses Jahr die musikalische Wanderlesung zu den bibliophilen Büchern. Ein Schauspieler liest dabei Texte aus den Erker-Büchern, eine Pianistin mit einem mobilen Klavier interpretiert die Texte und die dazugehörenden Bilder musikalisch.

An Kunstführungen nehmen üblicherweise Experten wie auch Laien teil. An wen richten sich Ihre Führungen?

Nänny: Die Kunst soll alle Besucherinnen und Besucher berühren und ihr Interesse wecken. Je nach Gruppe passe ich mein Programm daher an. Als ich einmal Finanzleuten im vierten Obergeschoss die Erker-Drucke des deutschen Malers und Objektkünstlers Günther Uecker zeigte und erklärte, dass er für seine Prägedrucke mit reissfestem Papier aus Baumwollfasern arbeitet, wie es auch für Geldnoten verwendet wird, war die spannendste Diskussion entfacht. Ein anderes Mal machte ich eine Führung mit einem älteren Ehepaar, sie ist selbst Künstlerin. Mit ihnen hätte ich stundenlang fachsimpeln können.

Was interessierte dieses Ehepaar besonders?

Nänny: Die beiden waren begeistert von der Schönheit der bibliophilen Bücher. Dem liegt natürlich auch die Faszination zugrunde, dass die zwei Erker-Galeristen es schafften, Künstler aus ganz Europa nach St.Gallen zum Arbeiten zu holen. Dieser Standortbezug der Werke ist eindrücklich.

Tàpies' fünf Holzschnitte sind in der Aula am prominentesten ausgestellt. Weshalb?

Nänny: Bei den Holzschnitten handelt es sich um fünf Werke einer Serie. Jedes Bild ist fast vier Quadratmeter gross. Dafür gibt es nur in der Aula Platz. Beim Bau des Fachhochschulzentrums wurde darauf geachtet, dass es an dieser Wand eine Einbuchtung gibt, damit solch grosse Werke ausgestellt werden können. Die Bilder passen wunderbar an diesen Ort.

Obwohl die Werke die Narben und Wunden der Kriegszeit thematisieren?

Nänny: Ja. Unser Leben ist nicht nur von Sonnenschein geprägt, und das bilden diese Werke ab. Interessant ist bei Tàpies auch, dass er mit alltäglichen Gegenständen und Materialien arbeitete. Durch seine Werke ziehen sich Motive wie Bücher, Stühle, Füsse und Kreuze. Er verwendet das Material manchmal auch gleich als Motiv. Im dritten Obergeschoss gibt es beispielsweise einen Druck, für den er eine Manchesterhose verwendete.

Was macht die FHS spannend als Kunstplattform?

Nänny: Spannend ist vor allem, dass es Kunst in einem öffentlichen Raum ist. Die FHS ist ein Anziehungspunkt, an dem deutlich wird, dass Kunst kein Nebenschauplatz der Menschheit ist, sondern einen Zweck hat.

Da müssen Sie näher darauf eingehen.

Nänny: Kunst verbindet Menschen seit jeher. In der Anthropologie geht man davon aus, dass bereits unsere Vorfahren vor 500’000 Jahren biologisch dazu bestimmt waren, Kunst zu machen. Kunst ist es auch, den Körper zu schmücken, um in der «Paarungsszene» gut anzukommen. Das ist für eine Kultur überlebenswichtig.

Sie sagen also, Kunst ist ein menschliches Bedürfnis. Welche Kunst mögen Sie persönlich am liebsten?

Nänny: Hier spielt die Frage eine zentrale Rolle, was Kunst ist. Ich persönlich bin fasziniert von Mozarts Klavierkonzerten, von Poetry Slam, von englischen Gärten, von Gaudís Gebäuden in Barcelona, von Höhlenmalerei, von Buchkunst jeder Art und von Architektur allgemein. Das habe ich wohl von meiner Grossmutter geerbt. Von ihr habe ich das Betrachten gelernt. Immer wenn wir gemeinsam unterwegs waren, blieb sie vor allen möglichen Dingen stehen und sagte: «Schau, wie schön.»

Das ist auch der Satz, der Ihnen den Job als Verantwortliche für die Kunst an der FHS einbrachte.

Nänny: Allerdings. Bei der FHS arbeite ich schon seit neun Jahren als Dozentin für wissenschaftliches Schreiben. Als ich 2013 an der Eröffnung der ersten Ausstellung war, sagte ich: «Mein Gott, haben wir schöne Kunst!». Seither bin ich mit einem kleinen Pensum für die Kunst zuständig und schaue, dass wir die Bilder jedes Jahr wieder etwas auswechseln.

Von welchem Künstler oder welcher Künstlerin würden Sie am liebsten einmal Werke ausstellen?

Nänny: Ich würde sehr gerne Werke der US-amerikanischen Expressionistin Joan Mitchell ausstellen. Ihre Bilder sind explosiv und zart gleichzeitig. Auch Emanuel Geisser, ein Appenzeller Gegenwartskünstler, würde gut in die FHS passen. Seine Werke, oft sind es Installationen und Collagen, berühren mich. Mein Traum, einmal Bilder des St.Galler Malers Hans Krüsi auszustellen, ging bereits vergangenes Jahr im Rahmen des Kulturzyklus Kontrast an der FHS in Erfüllung.

Maria Nänny

Maria Nänny im Gespräch vor der Cafeteria «Gleis 8» im Fachhochschulzentrum. Im Hintergrund ein Werk des spanischen Malers Antoni Tàpies.