Archivausgabe
Zu Besuch bei Tobias Wehrli

Ein Banker auf Eis

Malolo Kessler

Schon als 15-Jähriger hat Tobias Wehrli gestandene Männer auf dem Eis herumgepfiffen. Heute hat der FHSAlumni bereits zwei WM-Finals geleitet und gilt als Shootingstar der Schweizer Eishockeyschiedsrichter. Das, obschon er hundert Prozent für eine Liechtensteinische Privatbank arbeitet. Der 39-Jährige spricht über seine Studienzeit und das Schiri-Dasein. Und er verrät, welches Schuhwerk er noch lieber trägt als Schlittschuhe.

Er öffnet den Kofferraum seines tiefschwarzen Kombis. Und da liegen sie. Seine beiden Welten, seine beiden Leidenschaften, versinnbildlicht: Eine beige-blau gestreifte Krawatte und ein schwarz-weiss gestreiftes Eishockeyschiri-Leibchen. Beides braucht Tobias Wehrli in seinem Alltag. Der 39-Jährige arbeitet bei einer Liechtensteinischen Privatbank und pfeift nebenbei Eishockeymatches. Das macht der FHS-Alumni auf hohem Niveau. Bei der VP Bank leitet er seit gut einem Jahr als Chef ein 50 köpfiges Team, welches sich vorwiegend um externe Vermögensverwalter, Treuhänder und Kreditkunden kümmert. Und auf Schlittschuhen hat er bereits zwei WM-Finals gepfiffen. Einen «kometenhaften Aufstieg» hatten ihm damals Schweizer Medien attestiert, Wehrli, dem «Shootingstar der Schweizer Schiedsrichtergilde».

Ein «FHS-Kind» pfeift sich hoch

Da also die geschliffene Welt der Vermögenden, dort die bisweilen ungehobelte der Eishockeyaner. Ein Balanceakt, den Tobias Wehrli seit vielen Jahren meistert. Eigentlich habe er aber nie Schiedsrichter werden wollen, sagt er. Anderthalb Stunden bevor er seinen Kofferraum öffnet, um seine Sporttasche zu verstauen und nach Hause zu fahren, sitzt er im Restaurant der Badi Wil, gleich neben der Eishalle. Im Anzug, ohne Krawatte, die Haare kurz geschoren. Wenn er erst einmal spricht, dann spricht er ausführlich, ruhig, aber stetig gestikulierend. «Als Schiri wird niemand geboren. Schiri wird, wer als Spieler zu schlecht ist.» Ein kurzes Lächeln, die Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen ist zu sehen. So sei es auch bei ihm gewesen. Schon als Kind habe er Eishockey gespielt aber bald eingesehen, «dass das nichts wird». Nachdem er einen Schiedsrichterkurs absolviert hat, begann Wehrli als 15-Jähriger, seine ersten Spiele zu pfeifen. Viertliga-Spiele. «Wenn du mit 15 Jahren 40jährige Männer umherpfeifst, ist das eine gnadenlose Lebensschule. Anders gesagt: en Seich.» Doch der Wiler, der heute in Goldach lebt, pfeift sich hoch. Durch alle Schweizer Ligen bis auf internationales Eis. Zuerst als Linienrichter, ab 2011 als Headschiedsrichter. Und da beginnt sein kometenhafter Aufstieg.

Parallel zu seiner Karriere auf Schlittschuhen absolviert er eine Banklehre und studiert an der Fachhochschule St.Gallen Betriebsökonomie. Es folgen zahlreiche Weiterbildungen. «Mein Executive MBA war dabei mit Abstand die beste Ausbildung, die ich je gemacht habe», sagt Wehrli. Er spricht von «sensationellen Diskussionen» mit seinen sieben Mitstudenten, mit denen er dank der Alumni­ -Organisation nach wie vor in regem Austausch steht. Den Alumni beigetreten sei er, weil er so mit anderen verbunden bleibe. «Ich bin ein absolutes Kind der FHS.» Nach dem Studium arbeitete Wehrli bei der CS, ging als Aktien- und Optionenhändler für ein Jahr nach New York und dann für gut sechs Jahre zur St.Galler Kantonalbank. Von dort ist er von der Liechtensteinischen Privatbank abgeworben wurde. «Ich bin ein ehrgeiziger Mensch», sagt Wehrli. «Und ein aktiver.»

Banker Tobias Wehrli

«Andere gehen ins Yoga, um den Kopf zu leeren. Ich gehe ins Eishockeystadion.»

Als Schiri wird niemand geboren. Schiri wird, wer als Spieler zu Schlecht ist.

Zwei bis drei Spiele pro Woche

Aktiv muss er sein, um Arbeit und Schiedsrichterleben zu vereinen. Zwei bis drei Spiele leitet er pro Woche. Dafür reist er nach Feierabend in der ganzen Schweiz herum. Mal nach Davos, mal nach Genf, mal nach Lugano. Fährt er mit dem Auto, hört er oft Hörbücher, die sich mit verschiedenen Themen der Personalführung beschäftigen. «Romane als Hörbücher sind mir zu langweilig», sagt Wehrli. Angekommen im Stadion, bereitet er sich zwei Stunden mental und körperlich auf das Spiel vor. Nachdem er das Spiel geleitet hat, fährt er wieder nach Hause. «Für den Kopf ist das alles gigantisch», sagt Wehrli. Er meint es im positiven Sinn. «Andere gehen ins Yoga, um den Kopf zu leeren. Ich gehe ins Eishockeystadion.» Auf dem Eis interessiere es niemanden, ob er im Büro gerade ein personelles Problem habe. «Und ich treffe auf die verschiedensten Leute, die ich so im Arbeitsalltag nie treffen würde. Spreche über Themen, über die ich im Büro nie sprechen würde. Das erdet.» Nach den vier Stunden sei es, als sei in seinem Kopf ein Reset-Knopf gedrückt worden. Das, obwohl der Eishockeyschiedsrichter ein 164-seitiges Regelwerk im Kopf haben muss – insgesamt gut tausend verschiedene Regelauslegungen. «Fällt man einen Entscheid, muss man zu hundert Prozent dahinter stehen», sagt Wehrli. Dass Schiedsrichter mässig beliebt sind, daran hat er sich gewöhnt. Auch daran, dass Schiedsrichter «ein eigenes Völkli sind». Einzelkämpfer, die zumeist so ziemlich jeden im Stadion regelmässig verärgern. Ob Spieler, die das Gefühl hätten, «Sibäsieche» zu sein, Fans, bei denen der Schiri bereits untendurch ist, bevor er auch nur einen Schlittschuh aufs Eis gesetzt hat oder Medienvertreter, die immer alles besser wissen. «Ich kann sehr gut mit Kritik umgehen, Anfeindungen prallen an mir ab. Deshalb schlafe ich immer gut.» Bisher war da bloss ein kleiner Unfall in seiner Karriere, nachdem er nicht so gut geschlafen hatte. Es passierte kurz vor den Playoffs in der Saison 2009. Fribourg spielt gegen Zug. Tobias Wehrli lenkt sehr unglücklich den Puck ab und verhilft so Zug zum Sieg. «Ich dachte, ich werde gelyncht. Nach dem Spiel konnte ich zwei Stunden nicht aus der Kabine. Eine Katastrophe.» Eine Woche später ruft er beim Fribourg-Coach an und diskutiert mit ihm den Vorfall aus. Lieber als daran, erinnert sich Wehrli an sein bisheriges Karrieren-Highlight. Das WM-Endspiel in der U20 zwischen Kanada und Russland im Jahr 2015.

Wehrli pfiff vor 18'000 Frans in der NHL-Arena in Toronto. «Ja, da war ich vorher schon ein bisschen nervös.» Als Nichtprofischiri hat der Banker alles erreicht, was er erreichen könnte. Trotzdem gibt es noch ein Spiel, das er gerne pfeifen würde. Eines an den Olympischen Winterspielen 2018. Um an Olympia pfeifen zu dürfen, müsse man allerdings unter den weltweiten Top-Fünf der Schiedsrichter sein. «Die Chance ist verdammt klein. Aber sie ist grösser als null.»

«Profischiri – eher nein»

Sich nur noch auf Eishockey zu konzentrieren, also Profi-Schiedsrichter zu werden, ist für Wehrli nie wirklich ernsthaft in Frage gekommen. «Es würde mir auf die Dauer wahrscheinlich zu langweilig werden, wenn ich mich nur mit Eishockey auseinandersetzen müsste.» Ihm passt der Balanceakt. Und er sagt, dass beide Welten davon profitieren, dass er sich in beiden bewegt. So habe er zum Beispiel vom Eishockey gelernt, dass alles eine Sache des Blickwinkels sei. Das Wissen, dass Schiri-Entscheide oft auch anders gefällt werden könnten, helfe zu akzeptieren, dass in der Geschäftswelt verschiedene Meinungen und Perspektiven existierten. Kommunikation und die Art, wie man kommuniziert, sei sowohl im Büro als auch auf dem Eis wichtig, sagt Wehrli weiter. «Im Büro muss man sich einfach ein bisschen anständiger ausdrücken.» Und müsste er sich eines Tages zwischen Bank und Eisstadion entscheiden, zwischen Lederschuh und Schlittschuh? «Das könnte ich nicht», sagt er. «Am allerliebsten trage ich sowieso Flipflops – das ist für mich Freiheit schlechthin.» Solange er also kann, will Wehrli in beiden Welten leben. Auf den zweiten Blick gäbe es trotz all der Unterschiede nämlich auch sehr viele Gemeinsamkeiten, die beiden Welten lägen nicht diametral auseinander. «Am Ende des Tages hat jeder gerne eine Bratwurst und ein Bürli in der Hand.» Der Hockeyfan genauso wie der vermögendste Privatkunde.

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