Archivausgabe
Brennpunkt

Solide Unternehmen statt Luftschlösser bauen

Christian Jauslin

Jeder kann ein Unternehmen gründen und aufbauen, aber nicht jeder weiss wie's geht. Der Lean-Start-up-Ansatz beschreibt einen flexiblen Prozess des ständigen Lernens und Verbesserns von der Idee bis zum Erfolg.

In der Schweiz gibt es 561'619 kleine und mittlere Unternehmen, die irgendwann gegründet und aufgebaut wurden. Potenzielle Gründerinnen und Gründer können nicht nur auf viel Literatur, sondern auch auf die Unterstützung von diversen Organisationen zurückgreifen. In der Ostschweiz ist der Verein Startfeld eine solche Organisation (siehe Kasten).

Warum, wohin?

Um das eigentliche Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, ist für ein neues Unternehmen eine Vision von Bedeutung. In einer Mission wird der Grund für die unternehmerische Tätigkeit festgehalten. Beides mündet in einer Strategie. In dieser werden alle relevanten Aktivitäten des Unternehmens so definiert, dass die Ziele erreicht werden können. Im Idealfall kann sich das Unternehmen durch seine strategische Ausrichtung von den Mitbewerbern differenzieren.

Die Strategie wird wiederum im Geschäftsmodell abgebildet, wobei dieses das Grundprinzip beschreibt, nach dem eine Organisation Werte schafft, vermittelt und erfasst. Wert schaffen heisst hier auch, einen Nutzen für Kundinnen und Kunden sowie Partnerinnen und Partner zu stiften. Strategie und Geschäftsmodell haben einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg eines Unternehmens. Am Unternehmensspiegel, dem jährlichen KMU-Event des Instituts für Unternehmensführung IFU-FHS an der Fachhochschule St.Gallen, definierte Prof. Dr. Roland Waibel, Leiter des IFU-FHS, ein Geschäftsmodell als die zentrale Darstellung aller wichtigen Elemente eines Unternehmens. Eine mögliche Art der Darstellung eines Geschäftsmodells ist der Business Model Canvas, der neun Bausteine (Kundensegment, Wertangebot, Kanäle, Kundenbeziehungen, Einnahmequellen, Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten, Schlüsselpartner und Kostenstruktur) auf vier Bereiche verteilt: Produkt, Kunden, Infrastruktur und Finanzen.

Neues aus Altem

Unternehmen sollen keine Produkte, sondern Lösungen verkaufen. In seinen Referaten erwähnt Roland Waibel folgendes Beispiel: «Kundinnen und Kunden, die ein Bild aufhängen wollen, wollen Löcher und nicht Bohrer.» Erfolg entstehe oft nicht primär dank technischen Innovationen, so Roland Waibel, sondern durch eine clevere Neuorganisation, aus der eine neue Geschäftslogik, also ein neues Geschäftsmodell, hervorgehe. Eine Geschäftsmodell-Innovation entsteht demnach, wenn branchenfremde in bestehende Muster integriert werden und diese von der gängigen Branchenlogik abweichen. Dies findet sich auch im integralen Ansatz wieder: Hier lautet die Leitfrage: Was ist aus Kunden sicht das optimale Angebot. Danach wird dasjenige Produkt bereitgestellt, welches diese Lösung anbietet. Dies im Gegensatz zu einem Vermarktungsansatz, bei dem das Produkt bereits entwickelt ist und dessen Nutzen den Kundinnen und Kunden mittels Vermarktung erklärt wird.

Beide Ansätze gehen davon aus, dass das Bedürfnis der Kundinnen und Kunden bekannt ist. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Annahme, die sowohl zutrifft als auch völlig falsch sein kann. Steve Blank, Professor an der Stanford University, bezeichnet ein solches Geschäftsmodell als eine «Übung in Marktforschung», welche einsam am Schreibtisch erarbeitet werde, noch bevor es überhaupt ein Produkt gebe. Erst wenn dann das Produkt fertig und auf dem Markt sei, erhalte man Feedback von Kundinnen und Kunden und nur selten würden Businesspläne den ersten Kontakt mit diesen überleben. Stattdessen schlägt er einen Lean-Start-upProzess vor: Schnell von Misserfolg zu Misserfolg weitergehen, von Kundinnen und Kunden lernen und ständig die ursprüngliche Idee anpassen und verbessern. Das ist jedoch nicht unbedingt neu, sondern findet sich bereits im Deming Cycle aus den Fünfzigerjahren: Planen – Machen – Überprüfen – Verbessern.

AUF DEM STARTFELD ABHEBEN

Das Netzwerk für Innovationen und Start-ups in der Region St.Gallen Bodensee wurde 2010 gemeinsam mit der Universität St.Gallen, der FHS St.Gallen, der Empa sowie der Stadt St.Gallen gegründet. Beda Meienberger, Co-Leiter Kompetenzzentrum Active Assistend Living AAL-FHS und Delegierter der FHS, erklärt: «Der Verein Startfeld bringt Startups zur Gründung und durch aktiven Support mit enger Begleitung zur Überlebensfähigkeit.»

Von Kunden lernen

Eine solche Agilität ist für Start-ups von grosser Bedeutung: Sie entwickeln ihre Strategien iterativ (indem sie sich schrittweise in sich wiederholenden Durchgängen der Lösung annähern) und unter Unsicherheit, da sie den Markt häufig noch nicht richtig kennen. Sie müssen auf Erkenntnisse schnell und flexibel reagieren können. Dies wiederspiegelt sich im Lean-Start-up-Vorgehen. Prof. Dr. Rigo Tietz vom Kompetenzzentrum Strategie und Management am IFU-FHS erklärt, dass es bei Lean-Start-up in erster Linie darum gehe, Kunden zu entdecken und zu verstehen, danach die Nachfrage nach dem eigenen Angebot zu schaffen, und erst zuletzt darum, das Unternehmen aufzubauen. Lernen sei hier zentral und geschehe in kurzen Zyklen: Unternehmen stellen schnell minimal funktionsfähige Produkte zusammen, sie holen sich Kundenfeedback ein und überarbeiten das Produkt dementsprechend. So entstehen Produkte, welche der Kunde tatsächlich möchte, sagt Rigo Tietz. Flexibilität, Agilität und von Kunden lernen sind aber auch Elemente von erfolgreich etablierten Unternehmen. Der diesjährige KMU-Spiegel des IFU-FHS hat Erfolgsstrategien untersucht und festgestellt, dass Schweizer KMU überwiegend auf eine Strategie der Differenzierung setzen: Ihre Leistung zeichnet sich aus durch überdurchschnittliche Qualität, zusätzliche Services und die Positionierung in einer Marktnische. Ihre Grösse erlaubt ihnen mehr Flexibilität, was es ihnen möglich macht, auf individuelle Kundenanforderungen zu reagieren. Die Zusammenarbeit mit den Kundinnen und Kunden ist auch eine wichtige Innovationstreiberin; innovative Lösungen entstehen oftmals aus der engen Zusammenarbeit. Somit lässt sich feststellen, dass was beim Aufbau den Erfolg fördert, es danach auch noch macht.