Archivausgabe
Brennpunkt

(Un)mögliche Möglichkeiten - eine kritische Position zur Robotisierung von Pflegesituationen

Prof. Dr. Thomas Beer, Julian Hirt, Prof. Dr. Heidi Zeller (Essay)

Der «Hype» der Technisierung, Digitalisierung und Robotisierung trifft verzögert auf das Pflegewesen. Dennoch scheinen die damit verbundenen Erwartungen grösser und surrealer zu sein. Die mit der «Pflege 4.0» adressierten Themenfelder lösen bei den potenziell Nutzenden und Anwendenden nicht nur Begeisterungsstürme aus. Vielmehr führen die Technisierungsbestrebungen in der Pflegeszene zu diversen Ängsten, Sorgen und schlichtweg zur Frage nach der Sinnhaftigkeit. Dies gilt besonders in Bezug auf die «Robotisierung» der Pflege.

Die damit verbundenen gesellschaftlichen sowie inter- und intraprofessionellen Debatten über die (un)möglichen Möglichkeiten offenbaren, dass Fiktion und Realität zu einem Hybrid­produkt verschmelzen. Es ist kaum noch möglich, zwischen fiktiver Realität und realer Fiktion zu unterscheiden. Die derzeitigen Marketing- und Imagekampagnen namhafter Roboterhersteller sowie die mitunter unseriös wirkenden Darstellungen von Medienberichten vermitteln eine fiktive Realität, in der autonome und intelligente Pflegeroboter «existieren». In diesen, unseren Zeiten könnte man hier von «alternativen Fakten» ­sprechen. Sie gehen von einem verkürzten, eindimensionalen Verständnis darüber aus, was die berufliche Pflege ist, bzw. zukünftig sein wird, und was robotische Artefakte pflegerisch leisten können. Kurz: Es existiert bisher ein deutliches Mismatch zwischen dem technischen, robotischen Angebot und dem tatsächlichen Bedarf in der Pflege.

Kein Ersatz für Pflegefachpersonen

Die professionelle Pflege gehört zu jenen Berufsfeldern, die sich eben nicht «robotisieren» lassen, da sich die individualisierte Pflege und Sorge um fremde, andere soziale «Leiber» und «Körper» nicht durch Algorithmen abbilden lassen. Denn: Jede – noch so banal wirkende – Pflegesituation ist aufgrund ihres «Spiels» zwischen Wahrnehmen, Beobachten, Deuten und pflegerischem (sozialen) Handeln so komplex, dass sie einmalig und (vermutlich) unprogrammierbar bleibt. Sogenannte «Pflegeroboter» sind fiktiv und werden Pflegefachpersonen – ausgehend von unserem derzeitigen Pflege- und Sorgeverständnis – nicht ersetzen können.

Um eben dieses Pflege- und Sorgeverständnis sollten wir uns als Zivilgesellschaft allerdings sorgen: Wenn einerseits für andere Sorgende, beispielsweise Pflegefachpersonen, aufgrund der zunehmenden gesellschaftlichen Ökonomisierung wie Maschinen agieren und andererseits die ökonomisierte Gesellschaft Maschinen (er)zeugt, die menschen­ähnlich agieren und somit für Sorge sorgen – dann scheint etwas nicht zu stimmen. 

Diesem Paradoxon der Moderne (Gross 2003) gilt es entschieden entgegenzuwirken, indem wir den längst überfälligen Diskurs zur zukünftigen Sorge und Pflege führen. Es ist unbestritten, dass unser formelles und informelles Pflegewesen auf eine veritable Krise zusteuert. Daher sollte die Zivilgesellschaft zunächst festlegen, welche Pflege- und Sorgekultur sie zukünftig haben möchte, um dann bestimmen zu können, welche Art von Technik sie dabei wie unterstützen kann. 

Derzeit wird ausschliesslich ein kapitalistisch motivierter Technikdiskurs geführt, der die Technik für die Pflege der Zukunft bestimmt und von dem bereits angedeuteten Substitutions­­moment ausgeht. Dieses Moment stellt eine unmögliche Möglichkeit dar, die verstärkt soziale Pflegeungleichheiten produzieren wird und den Diskurs zur Entfremdungssorge im Pflege­wesen befeuert: «We don’t want technology – we want people!» (Powell 2010). Bereits Thomas Luckmann (1980) hat in seinem Aufsatz «Über die Grenzen der Sozialwelt» ausgeführt, dass nicht nur lebende Menschen, sondern auch eine Vielzahl anderer Entitäten den Status einer sozialen Person innehaben können. Daher werden zukünftig künstliche Gefährten, sogenannte «artificial companions» wie Assistenz-Roboter, Telepräsenzroboter, Trainingsroboter und emotionale Roboter – mit menschlicher und tierähnlicher Verkörperung – mit uns existieren. Sie werden Teil unserer Lebenswelt – auch für pflegebedürftige Personen – und stellen somit eine reale Fiktion dar. 

Robotisierung führt nicht zur zeitlichen Entlastung

Aber dennoch: Nur weil Roboter eine zunehmende Vergesellschaftung erfahren, sollten sie nicht unreflektiert und im substitutiven Sinne in der formellen und informellen Pflege wirken. Denn erste Studien weisen bereits dar­aufhin, dass gerade der Einsatz von emotionalen Robotern eine intensive Begleitung der pflegebedürftigen Person voraussetzt und nicht zur «zeitlichen Entlastung» der Pflegenden führt (Baisch et al. 2018). Die Annahme, robotische Artefakte könnten pflegerisches Handeln ersetzen, ist nahezu naiv. Vielmehr wird die Robotisierung der Pflegesituation – ob sinnvoll oder nicht – zu einer Verkomplizierung des Komplexen beitragen. Denn in der Pflegesituation ist nun ein «Dritter im Bunde» (Pfadenhauer & Dukat 2016), der auch (mit) handelt. Dieser Dritte vermag vielleicht Pflegesituationen zu unterstützen, mitzugestalten und zur lebensweltlichen Krisenbewältigung beizutragen – und auch nur dann, wenn die Nutzer ein sinnhaftes Innovationspotenzial im (zusätzlichen) künstlichen Gefährten sehen. 

Somit sollten primär die Bedürfnisse, Interessen und Vorlieben der techniknutzenden Personen den zentralen Ausgangspunkt zu den Überlegungen bilden, ob der personen- und situationszentrierte Technik- und Robotereinsatz in der Pflege eine mögliche Möglichkeit darstellen könnte.

Somit bleibt auch zu fragen: Können Maschinen zur Humanisierung der pflegerischen Arbeitswelt ­beitragen?