Archivausgabe
Brennpunkt

Wenn der Gemeindepräsident twittert

Lea Müller

Wie können Gemeinden ihre Bürgerinnen und Bürger erreichen? Im Zeitalter der Digitalisierung müssen sie neue Wege suchen. Die FHS St.Gallen hat in einem Pilotprojekt die Informations- und Kommunikationspolitik von vier Schweizer Gemeinden analysiert. Alle sehen beim Bürgerdialog Handlungs­bedarf – uneins sind sie sich über das Potenzial von Sozialen Netzwerken. 

Ist Ihr Gemeindepräsident auf Twitter? Folgen Sie Ihrer Gemeinde oder Ihrer Stadt auf Facebook und Insta­gram? Falls Sie diese Fragen mit einem «Nein» beantworten, gehören Sie wohl zur Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Während Politikerinnen und Politiker gerade in Wahlkampfzeiten in den Sozialen Netzwerken sehr aktiv sind, setzen Gemeinden Social­-Media-Tools noch zurückhaltend ein. Warum das so ist, und vor welchen Herausforderungen Gemeinden mit ihrer Informations- und Kommunikationspolitik im Zeitalter der Digitalisierung stehen, wollte das Institut für Qualitätsmanagement und Angewandte Betriebswirtschaft IQB-FHS der Fachhochschule St.Gallen ­wissen. «Viele Gemeinden bekunden Probleme damit, wie die Bevölkerung die Gemeindekommunikation wahrnimmt», sagt Daniel Jordan, Leiter Empirische Datenerhebungen sowie Markt- und Unternehmensanalysen am IQB-FHS. Bei über 50 Einwohnerzufriedenheitsanalysen habe sich herausgestellt, dass sich eine tiefe Bewertung der Kommunikationspolitik in der Regel auch negativ auf die Bewertung der anderen Themengebiete und somit auf die Gesamtzufriedenheit ausgewirkt habe. Um diesen Hebeleffekt zu analysieren, lancierte das Institut ein Pilotprojekt, an welchem sich die vier Gemeinden Gachnang (TG), Nottwil (LU), Stein (AG) und St.Margrethen (SG) beteiligten. 

Briefkasten vs. Smartphone

Über eine Online-Plattform konnte die Bevölkerung Vorschläge zur Gestaltung und Verbesserung der Informations- und Kommunikationspolitik geben. In einem Workshop kamen die Gemeindevertreter und das Projektteam zusammen, um die Ergebnisse der qualitativen Befragung zu ­diskutieren. «Die vier Pilotgemeinden pflegen zwar ganz unterschied­liche Kulturen des Bürgerdialogs. Eine ­gemeinsame Herausforderung sind aber sicher die unterschiedlichen Ansprüche der Zielgruppen», sagt Adrian Giger, Projektleiter im IQB-FHS.  Während die einen Bürgerinnen und Bürger nach wie vor ein gedrucktes Gemeindeblatt aus ihrem Briefkasten nehmen möchten, erfahren die anderen Neuigkeiten aus dem Gemeindehaus lieber aus einem Newsletter oder gar als Pushnachricht auf ihrem Smartphone. 

«Für uns ist es von grosser Bedeutung, dass unsere Informationen alle Zielgruppen erreichen», sagt Felix Tobler, Gemeinderatsschreiber in St.Margrethen. Deshalb setze sich das Team für die kommunale Kommunikation aus Mitarbeitenden unterschiedlichen Alters zusammen. Die Gemeinde St.Margrethen betreibt bereits eine App; nun wird auch der Einsatz von Social Media geprüft. «Ein Pilotprojekt soll zeigen, ob wir eine jüngere Generation ansprechen können.» Auch in Stein denkt man darüber nach, ob die Gemeinde künftig auf Social-Media-Kanälen präsent sein soll. «Wir werden auf Personen zwischen 18 und 35 Jahren zugehen, um herauszufinden, was es braucht und worauf man auch verzichten kann», sagte Gemeindeammann Beat Käser nach Projektabschluss gegenüber der «Aargauer Zeitung». 

Für die Bewirtschaftung von Social-Media-Kanälen fehlt schlicht und einfach die Zeit.

Kontrovers diskutiert

Die meisten Gemeinden tasten sich noch zögerlich an Social-Media-Tools heran. Das Thema werde auch in der Bevölkerung kontrovers diskutiert, sagt Projektleiter Adrian Giger: «Befürworter sehen vor allem die Chance, mit Sozialen Netzwerken jüngere Bürger abzuholen. Skeptiker nennen die Kosten und den Ressourcenaufwand zur Pflege der Kanäle sowie die Gefahren eines Kontrollverlusts und Angriffsfläche im Netz.» In der Gemeinde Gachnang zum Beispiel ist der Gemeindepräsident für die Kommunikation zuständig. «Wir sind gut unterwegs, wobei wir den analogen Weg dem digitalen vorziehen», sagt Matthias Müller. Ihm fehle für die Bewirtschaftung eines Facebook-­Accounts oder eines anderen Kanals schlicht und einfach die Zeit, sagt er. «Wir müssten eine Teilzeitstelle schaffen, um die Informationen à jour zu halten.»

Für einen wirksamen Bürgerdialog lohnt sich die Investition in eine professionelle Kommunikation.

Möglichkeiten ausloten

Die Vielfältigkeit der (neuen) Kommunikationskanäle erfordere mit Sicherheit ein hohes Mass an Koordinationsaufwand und könne auch zu Verlust von Kontrollmechanismen führen, sagt Daniel Jordan. Aus seiner Sicht ist es für Gemeinden dennoch unumgänglich, die Möglichkeiten und Grenzen von Social-Media-Tools auszuloten. Er empfiehlt deshalb, Social-Media-Workshops unter Leitung von Fachexperten sowie mit Einbezug von Jugendlichen durchzuführen. Der Einsatz von Neuen Medien setze in der Kommunalpolitik entsprechende  Kompetenzen voraus.

In der Professionalisierung der Informations- und Kommunikationspolitik sehen die Projektleiter der FHS denn auch den grössten Handlungsbedarf für Gemeinden. «Für einen wirksamen Bürgerdialog lohnt es sich, in eine professionelle Kommunikation zu investieren», sagt Adrian Giger. So stellte das Institut den vier Pilotgemeinden im Workshop Bausteine eines Kommunikationskonzepts zur Verfügung – zwei Gemeinden erarbeiten auf dieser Basis ein neues Konzept, zwei überarbeiten das bestehende. An der gemeinsamen Diskussion konnten die Gemeindevertreter Erfahrungen sowie Tipps und Tricks austauschen. Und vielleicht sind sie auch bald über Facebook, Twitter und Co. miteinander verbunden.