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Zu Besuch bei Ronnie Ambauen

Zwischen Architektur, Politik und Postpunkmusik

Malolo Kessler

Als Kind wurde er auf einen Namen getauft, der gar nicht seiner war. Als Jugendlicher wollte er die Welt nach Rorschach holen. Heute macht Ronnie Ambauen seit 20 Jahren Architektur, Politik und Postpunk. So ist der Rorschacher Bassist vermutlich der einzige FHS-Alumnus, der schon eine Bühne mit den «Toten Hosen» geteilt hat.

Ein Gleitschirmpilot zieht hoch über dem See einige Kreise. Bötchen tuckern ins Hafenbecken, Enten schnattern. Die Sonne steht tief, und am Rand des Hafenbeckens ein Velofahrer, der noch rasch ein Selfie macht. Ein paar Schritte weiter, auf der Hauptstrasse Rorschachs, schlängeln sich derweil die Autos Stossstange an Stossstange durch das Stadtzentrum. Feierabendverkehr. Hier, zwischen See und Trottoir und im Erdgeschoss einer Häuserzeile, liegt das Büro von Ronnie Ambauen. Seit acht Jahren leitet der 41-Jährige die «Carlos Martinez Architekten Rorschach AG».

Als Matrose auf See

Ambauen ist in Rorschach aufgewachsen, am Rand eines Arbeiterquartiers, in einer katholischen Familie. Ronnie ist sein offizieller Name – getauft worden sei er allerdings auf den Namen Hieronymus. «Wovon ‹Ronnie› nicht einmal abstammt, aber der Pfarrer wollte mich nicht auf den Namen ‹Ronnie›  taufen», sagt Ambauen, der am Sitzungstisch sitzt, lacht.

Er trägt ein schwarzes Hemd, den Scheitel auf der Seite, spricht leise. «Als Jugendlicher hatte ich nicht den konkreten Wunsch, Architekt zu werden.» Seine Eltern arbeiteten beide bei der Stadt, der Vater bei den Technischen Betrieben, Ambauen schnupperte als Elektriker, Schreiner, Chemielaborant und Hochbauzeichner. «Das Zeichnen hat mir am Ende aber sehr zugesagt.» Nach der Lehre machte Ambauen das Militär und die Berufsmatura, 1999 begann er mit einem Vollzeit-Architekturstudium an der FHS. Um Geld zu verdienen, arbeitete er nebenbei als Matrose auf dem Bodensee. «Für das Vollzeit-Studium hatte ich mich entschieden, weil ich mir richtig Zeit nehmen wollte, um mich mit der ­Materie ­auseinanderzusetzen. Ein Studium machst du schliesslich ein Mal im Leben», sagt Ambauen. Der Architektur-Lehrgang befand sich damals stark im Wandel und wurde 2007, vier Jahre nach Ambauens Abschluss, im Zuge der Bologna-Reform aufgegeben.

Bis letzten Herbst: Da startete an der FHS der neue Bachelor of Arts FHO in Architektur. Zum Glück, wie Ambauen sagt: «Es ist sehr wichtig, dass wieder hier ausgebildet wird. Wir brauchen fachlich gute Leute, die in der Region bleiben, die hier verwurzelt sind.» Auch die Auseinandersetzung mit der hiesigen Baukultur sei relevant: «Wir sind nicht Shanghai, wir sind nicht einmal Züri. Dieser Tatsache müssen wir uns stellen.» Ambauen sieht seine Aufgabe als Architekt darin, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, eine Stadt weiterzubauen. «Gute Architektur ist für mich nicht zu laut, aber auf den zweiten Blick dennoch spannend.» Nach dem Studium arbeitete Ambauen für Büros im Rorschacherberg, in St.Gallen, Widnau und ­Berneck.

Am 1. Januar 2011, das Datum weiss Ambauen noch genau, zog er ins heutige Atelier. Alleine, bloss mit Laptop und Telefon. «Vorher war hier ein Gemüseladen», sagt er, deutet auf die grossen Schaufenster, den schwarzweissen Steinboden. «Mit dem Bürostandort wollten wir zur Belebung des Zentrums beitragen. Es stehen immer mehr Ladenflächen leer, diese muss man anders nutzen», sagt Ambauen. «Es ist also quasi ein Experiment an uns selbst.» Ein bislang erfolgreiches: Unter den Augen der Passanten und der Leitung von Ambauen arbeitet hier heute ein zehnköpfiges Team.

Wir sind nicht Shanghai, wir sind nicht einmal Züri. Dieser Tatsache müssen wir uns stellen.

Stadtpräsidium: Ja oder Nein?

Der Architekt arbeitet nicht nur im Hafenstädtchen, er wohnt auch nach wie vor dort, mit seiner Partnerin, die ebenfalls für «Carlos Martinez Architekten» arbeitet. Weg habe es ihn nie gezogen, sagt er. Denn da ist nicht nur Ambauen, der Architekt. Da ist auch noch Ambauen, der Lokalpolitiker. «Und Politik bindet an einen Ort.» Zu dieser kam er schon früh. Bereits als Jugendlicher hatte er begonnen, sich für das Leben in Rorschach zu engagieren: Ambauen war Mitinitiant und Mitbetreiber des «Hafenbuffet», welches sich damals weit über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen als Kulturinstitution gemacht hatte. «Wir wollten nicht immer nach St.Gallen fahren, sondern die Welt nach Rorschach holen», erinnert er sich.

Mit 23 Jahren wurde Ambauen, der Seebub und Ruderer, von einem Senior des Seeclubs Rorschach und damaligen FDP-Parteipräsidenten gefragt, ob er nicht für den Gemeinderat kandidieren wolle. Er wollte, wurde gewählt und hat mit der Politik seither nicht aufgehört. Heute ist er als Rorschacher FDP-Stadtrat verantwortlich für Kultur, Sport und Tourismus. Und er ist Stellvertreter von Stadtpräsident Thomas Müller, der unlängst seinen Rücktritt per Ende 2019 bekannt­gegeben hat. Wird Ambauen, der Stadtrat, bald zu Ambauen, dem Stadtpräsidenten? Er zögert, lacht, schüttelt den Kopf, überlegt, lächelt, sagt dann: «Ich sage nicht Nein, ich sage aber auch nicht Ja.» Stadtpräsident sei ein Vollzeit-Job, das würde bedeuten, die Architektur aufzugeben. «Und grundsätzlich müssen in der Politik die Umstände immer passen. Auf Biegen und Brechen geht nichts. Man muss dann eine Chance ergreifen, wenn sie sich bietet.»

Auch vor 20 Menschen in einem besetzten Haus aufzutreten kann grandios sein.

Kein FDPler aus dem Bilderbuch

Würde Ambauen tatsächlich einst Stadtpräsident, würde Rorschach erstmals seit 1984 wieder von einem Freisinnigen präsidiert. Wobei Ambauen kein FDPler aus dem Bilderbuch ist, sich selbst als ­«gesellschafts- und nicht als wirtschaftsliberal» bezeichnet: «Die FDP hat ein breites Spektrum, für mich stimmt es in dieser Partei.» Dennoch werde er immer wieder darauf angesprochen, weshalb er überhaupt in der FDP sei. Und einmal, da verunmöglichte ihm die Parteimitgliedschaft fast einen der Gigs seines Lebens – Ambauen, der ­Lokalpolitiker, ist nämlich auch Ambauen, der Bassist der Band «Painhead». Es war 2013, «Painhead» durfte als Vorband der «Toten Hosen» in der AFG Arena auftreten. «Am Konzerttag erzählte mir die Managerin dann, dass uns die ‹Hosen› erst nicht hätten dabeihaben wollen. Sie dachten nämlich, dass ich auf derselben Linie politisiere wie die FDP in Deutschland», erzählt Ambauen. «Aber sie haben dann recherchiert und gemerkt, dass es nicht so ist. Also konnten wir spielen.» Er lacht.

Richtige Männerfreundschaften

Die Rollenwechsel – vom Politiker zum Musiker zum Architekten – seien nicht immer einfach, in all den Jahren habe er sich aber daran gewöhnt. Bei «Painhead», die ihre Musik als «Indie-Country-Whatever-Postpunkt für Erwachsene» beschreibt, als «laut, brachial und kompromisslos», spielt Ambauen seit 1999 Bass. Das Konzert als Vorband der «Toten Hosen» sei sicherlich ein Höhepunkt gewesen, sagt Ambauen. «Aber am Ende ist jedes Konzert gut, an dem wir nahe beim Publikum sind. Auch vor 20 Menschen in einem besetzten Haus aufzutreten, kann grandios sein.» Die vierköpfige Band spielt seit bald 25 Jahren zusammen. «Das ist auch das Schöne, wir haben eine richtige Männerfreundschaft. Wir möchten weiter auf diesem Niveau spielen, frisch bleiben, nicht verstaubt werden.» Ansonsten ist weder Ambauen, der Politiker noch Ambauen, der Architekt einer, der eine ausführliche Lebensplanung hat. Bloss etwas, das könne er ziemlich sicher sagen: Auch in zehn Jahren wolle er noch in Rorschach daheim sein. «Das Reissen wegzugehen, das habe ich nicht mehr.»

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