Brennpunkt
«Pop-up Stores schaffen es, die Leute von der Couch zu holen»
Als öffentlicher Raum muss eine Innenstadt heute vielen Ansprüchen genügen. Vor allem aber muss sie den Besucherinnen und Besuchern ein Erlebnis bieten. Denn anders als früher, kommt heute kaum jemand nur zum Shoppen in die Stadt. Ein Gespräch mit Stefan Nertinger vom Kompetenzzentrum Strategie und Management im Institut für Unternehmensführung über den veränderten Kunden, Pop-up Stores als Chance und einer Partnervermittlung für leere Ladenflächen.
Herr Nertinger, wieso hat es der Raum Innenstadt heute so schwer?
Stefan Nertinger: Für die Aufenthaltsqualität hat der Handel eine Leitfunktion. Dieser kämpft aber mit wesentlichen Veränderungen. Darunter leidet die Anziehungskraft der Innenstadt. Das gilt insbesondere für kleinere und mittelgrosse Städte wie Kreuzlingen oder St.Gallen. Grosse Städte wie Zürich oder Basel sind weniger betroffen.
Woran liegt das?
Nertinger: Am veränderten Kaufverhalten. Früher boten die Innenstädte die grösste Auswahl. Heute ist jedes Produkt nur ein Klick entfernt. Es gibt keinen Grund, das Smartphone aus der Hand zu legen und von der Couch aufzustehen. Das Einkaufen alleine ist heute selten der Grund für einen Besuch in der Stadt. Städte müssen Erlebnisse stiften. Sie müssten «instagramable» sein, damit die Leute ihren Aufenthalt auf Social Media teilen. Und das ist für mittelgrosse Städte schwieriger.
Liegt das am Angebot? Ist es zum Beispiel in St.Gallen nicht vielfältig genug?
Nertinger: Die St.Galler Innenstadt hat eine starke Non-Food-Struktur mit vielen Kleidergeschäften. Gerade aber Kleidergeschäfte sind vom Online-Handel stärker betroffen als andere. Jeder fünfte Franken wird hier online ausgegeben. Statistisch gesehen hat St.Gallen zu viele Kleider- und Non-Food-Geschäfte im Verhältnis zur Kaufkraft und Passantenzahl. Ich finde aber, sie bietet einen interessanten Branchenmix. Das ist eine Chance.
Inwiefern?
Nertinger: St.Gallens Innenstadt ist historisch gewachsen, das ist eine gute Voraussetzung. Das trägt zur Aufenthaltsqualität bei, indem es ein anderes Ambiente schafft als beispielsweise im Einkaufszentrum Kybunpark. St.Gallen hat extrem viel Potenzial, die Stadt muss aber die Veränderungen steuern..
Zum Beispiel mit Pop-up Stores?
Nertinger: Pop-up Stores bieten alleine durch ihr Format ein Erlebnis. Das sieht man bei grossen Warenhäusern wie Jelmoli, KaDeWe oder Bloomingdale’s. Sie alle arbeiten mit diesem Format inhouse. Das Sortiment wechselt schnell, das macht es spannend und überraschend. Das passt zur heutigen Zeit, in der sich der Geschmack kurzfristig ändert und die Kundschaft sehr trendaffin ist. Grosse Ladenketten tun das ebenfalls. H&M zum Beispiel wechselt das Angebot zwölfmal im Jahr, Zara sogar alle zwei Wochen. Pop-up Stores wiederspiegeln das. Die Verknappung des Angebots schafft es, dass die Kunden von der Couch aufstehen.
St.Gallen hat extrem viel Potenzial, die Stadt muss aber die Veränderungen steuern.
Sind Pop-up Stores deshalb eine Chance für den Raum Innenstadt?
Nertinger: Ich denke, die Grenze zwischen dem Konzept für Pop-up Stores und jenem für stationäre Geschäfte werden immer fliessender. Heute mietet sich kaum mehr ein Geschäft für fünf oder zehn Jahre ein. Das Ladensterben ist schon lange ein Thema. Im Unterschied zu früher hat sich aber der Kunde, die Kundin verändert.
Wie das?
Nertinger: Heute geht kaum mehr jemand uninformiert in ein Geschäft. Er holt sich die Informationen online und kauft dann in der Mehrzahl offline. Der Kunde, die Kundin wählt heute immer jenen Kanal, der den höchsten Nutzen bietet. Der stationäre Laden ist deshalb nur ein Marketingkanal unter anderen. Für kleine Geschäfte ist es schwierig, ein solches Multi-Channeling zu betreiben. Hier hat zum Beispiel der City Messenger seine Berechtigung. Mit ihm erreicht das Geschäft den Kunden direkt auf dem Smartphone.
Sie forschen im Bereich Pop-up Stores. Worum geht es beim Projekt «Pop up City»?
Nertinger: Partner beim durch Innosuisse mitfinanzierten Projekt sind die Städte St.Gallen und Zürich, die NTB Buchs und die Plattform popupshops.ch aus Zollikon. Wir erheben Standorte und qualifizieren den Leerstand. Einfach gesagt, unsere Plattform bringt Unternehmen, die für einen, zwei Monate einen Standort suchen, und leerstehende Geschäftsliegenschaften zusammen. Mit einem Pop-up Store verfolgen die Unternehmen ganz unterschiedliche Ziele. Sie wollen zum Beispiel als Outlet Produkte abverkaufen, mit einem Showroom neue Kundschaft erreichen oder den Markt für ein neues Produkt testen. Wir arbeiten an einer Künstlichen Intelligenz, genauer einem Recommender System, die dem Unternehmen die beste Liegenschaft dafür zeigt. Ähnlich wie das bei einer Partnervermittlung funktioniert.
Es geht also um den perfekten Match?
Nertinger: Genau. Das Unternehmen, zum Beispiel eine europaweit tätige Firma für Yoga-Bekleidung, gibt auf der Plattform ein, wie viele Quadratmeter Schaufenster sie möchte, welche Passantenfrequenz sie wünscht und welche Art von Geschäften in der Nähe sein sollen. Unsere Plattform schlägt dann den besten Match vor.
Wo stehen Sie mit dem Projekt?
Nertinger: Auf der Plattform sind bereits verschiedene leerstehende Lokale erfasst. Ab Februar 2020 funktioniert das Recommender-System, also das Matching. Dann wird es für uns so richtig spannend, weil wir mehr Daten und erste Nutzererfahrungen erhalten. Wir untersuchen, welche Daten wir brauchen, wie wir diese sammeln und auswerten können, damit wir das Matching verbessern können. Das Forschungsprojekt dauert bis Februar 2021.