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Brennpunkt

Mit dem Suppen-Fokus durchs Leben gestreift

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Malolo Kessler

«substanz» goes international – auch bei der Wahl des Künstlers für die Bildstrecke in der aktuellen Ausgabe: Marco Kamber ist im Rheintal aufgewachsen und lebt seit vier Jahren in Amsterdam. Wieso er ausgerechnet Suppen fotografiert hat, welche Rolle ein Taxifahrer beim Projekt spielte und weshalb er die Internationalität in Amsterdam befreiend und erdrückend zugleich findet, erzählt der freischaffende Fotograf im Interview.

Marco Kamber, die aktuelle «substanz»-Ausgabe dreht sich um Internationalität. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Suppen zu fotografieren?

Marco Kamber: Internationalität ist ein grosses Thema. Und es ist kein einfaches Thema, denn die Globalisierung hat nicht nur Sonnenseiten, sondern auch Schattenseiten. Im Kern geht es bei der Globalisierung aber stets um die Bewegung von Wissen und Kultur, letzteres hat mich dann zur Küche und zum Essen geführt. Und die Suppe ist die Basis der Küche. Sie ist einfach, erschwinglich für jede Person, es werden Reste verwertet, mir gefällt diese Idee hinter der Suppe. Zudem hat jede Kultur ihre eigene Suppe – und Suppen widerspiegeln auch die Geschichte.

Inwiefern spiegeln Suppen die Geschichte wieder?

Kamber: Ein Beispiel dafür ist die Gazpacho-Suppe. Sie wurde bis ins 18. Jahrhundert ohne Tomaten und Paprika zubereitet. Erst als Kolumbus diese Zutaten aus Amerika nach Europa brachte, wurden sie Bestandteile von Gazpacho.

Eine Gazpacho haben Sie nicht fotografiert, dafür aber Suppen aus Russland, Marokko und Grossbritannien. Wie haben Sie Ihre Sujets ausgewählt?

Kamber: Während der Arbeit an der Bildstrecke habe ich mich bewusst vom Zufall und von Begegnungen leiten lassen. Ich bin quasi mit einem Suppen-Fokus durchs Leben gegangen. So habe ich einen marokkanischen Taxifahrer in Amsterdam nach seiner Lieblingssuppe gefragt. Er hat mich dann zu seinem Lieblingsrestaurant gefahren, wo ich diese Suppe probiert und fotografiert habe. Ein anderes Bild ist entstanden, weil ich jemanden aus Belarus kennengelernt habe, und diese Person für mich eine Suppe aus ihrem Land gekocht hat.

Haben Sie auch selbst gekocht?

Kamber: Ja, ich habe während dieser Arbeit auch selbst Rezepte ausprobiert, auf die ich gestossen bin. Die meisten waren ganz gut. Eine Lieblingssuppe habe ich aber nicht, das variiert je nach Jahreszeit.

Stilistisch wirken Ihre Fotografien sehr alltagsnah. Was war Ihnen bei der Arbeit an diesem Projekt wichtig?

Kamber: Die Fotografien sollen unterstreichen, dass ich mit dem Suppen-Fokus durch mein Leben gestreift bin. Sie sind bewusst salopp gehalten.

Zu Beginn haben Sie gesagt, jede Kultur habe ihre eigene Suppe. Was ist für Sie die typische Schweizer Suppe?

Vielleicht die Basler Mehlsuppe? Eine «ärmere» Suppe kann ich mir fast nicht vorstellen – umso eindrücklicher dann aber, dass sie noch immer fester Bestandteil der Schweizer Küche ist. Zudem natürlich die Spargelcremesuppe, die es überall dort gibt, wo auch noch Maggi und Aromat auf dem Tisch stehen. Ein Stück Heimat.

Sie sind im Rheintal aufgewachsen und leben seit vier Jahren in Amsterdam. Wie erleben Sie die Internationalität dort?

Kamber: Amsterdam fühlt sich für mich wie ein internationaler Hub an. Das liegt zum einen sicherlich daran, dass viele internationale Unternehmen hier ihren Sitz haben. Holland ist aber auch ehemaliger Kolonialstaat und hat mit Sklaven gehandelt, wodurch in der Gesellschaft schon über Generationen viele Menschen leben, deren Vorfahren beispielsweise aus Indonesien stammen. Die Internationalität ist also historisch bedingt. Auf jeden Fall ist es hier ganz normal, Ausländer zu sein oder ausländische Wurzeln zu haben. Das ist sehr befreiend für mich als Ausländer. Einerseits.

Und andererseits?

Kamber: Manchmal kann die Internationalität fast erdrückend sein. Im Vergleich zur Ostschweiz oder zu Schweizer Städten im Allgemeinen – vielleicht abgesehen von Zürich –, fehlt hier das Kleinräumige, das Lokale. Das vermisse ich.

Marco Kamber

Marco Kamber, Jahrgang 1987, ist in Rheineck aufgewachsen und hat sich in seiner Jugend stark für die Rorschacher Kulturszene engagiert, insbesondere für das Kulturlokal Mariaberg. Er studierte Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste und Fotografie an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam. Heute lebt und arbeitet er als freischaffender Künstler, Journalist und Texter in Amsterdam.

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