20 Jahre FHS St.Gallen – 20 Porträts

Forscherseele und Kämpfergeist

Basil Höneisen

Sie wollte sich eigentlich auf die Forschung konzentrieren. Heute, nach zehn Jahren an der FHS, ist sie nebst Wissenschaftlerin auch Führungsperson, Kommunikatorin und Unternehmerin: Heidrun Gattinger leitet das Institut für Angewandte Pflegewissenschaft IPW-FHS. Forschung ist ihr Leben, Qualität ihr Ansporn.

«Wieso habe ich mich schon wieder gemeldet?!» Diese Frage stellt sich Heidrun Gattinger oft selbst, wenn sie wieder mitten in einem neuen Projekt steckt. Ein Projekt mit anspruchsvoller Materie wie die Entwicklung neuer Finanzierungsmodelle für die stationäre Kurzzeitpflege. Da gilt es, sich erst einmal einzuarbeiten. Sie liebt Themen, in denen sie sich noch nicht auskennt. Nur die Zeit fehlt. Sie hätte bei diesem Projekt nicht mitmachen müssen. Doch ihre Forscherseele lässt solche Chancen nun einmal ungern aus. Sie ist es, die Heidrun antreibt und zu dem gemacht hat, was sie heute ist: Prof. Dr. Heidrun Gattinger, 44, Pflegewissenschaftlerin fürs Leben gern. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Gesundheitsförderung von chronisch kranken Menschen und dem Pflegepersonal. Weltweit gibt es immer mehr Menschen mit chronischen Erkrankungen. In der Schweiz verursacht deren Versorgung aktuell 80 % der direkten Gesundheitskosten – Zahl steigend. Rehabilitative Programme gewinnen damit an Bedeutung. «Betroffene mit einer chronischen Krankheit und deren Angehörige müssen mit Kompetenzen befähigt werden, wie sie trotz Einschränkungen den Alltag bewältigen können», sagt Heidrun. Damit beschäftigt sich nun die von ihr und Myrta Kohler gegündete Fachstelle Rehabilitation & Gesundheitsförderung.

Diss mit Biss

Darunter fällt auch die in der Pflegewissenschaft relativ unbekannte Lehre der Bewegungsempfindung, die Kinästhetik. Ein Bereich, in dem sie vorher selbst wenig Expertise hatte. Reine Neugier und der Drang nach Wissen trieben sie an, das Thema zu beackern und gar ihre Doktorarbeit darüber zu schreiben. Keine leichte Aufgabe. «Bei der Dissertation hatte ich Probleme, mein Thema in wissenschaftlichen Journals zu platzieren, weil die Reviewer das Thema nicht kannten», sagt die Forscherin. «Das war frustrierend.» In solchen Momenten vereine sich jedoch ihre Forscherseele mit ihrem Kämpfergeist. Heute ist Heidrun eine von wenigen Pflegeforscherinnen in der Schweiz im Bereich Kinästhetik. Die Ziele der Fachstelle sind hoch. «Wir wollen eine internationale Ausstrahlung erreichen und als Expertinnen auf diesem Gebiet bekannt werden.» Ehrgeizig. Das ist Heidrun. Mit Leidenschaft und Vorwärtsdrang leitet sie heute ihr Pflegeinstitut. Die FHS hat ihr in den letzten zehn Jahren diesen Weg ermöglicht. «Ich schätze es besonders, dass der interdisziplinäre Ansatz an der FHS gelebt wird», sagt Heidrun Gattinger. Herausfordernd findet sie das unternehmerische Denken, das vor allem von ihr als Institutsleiterin gefordert wird. «Ich war einmal zu 100 % Forscherin. Heute bin ich ungefähr zu 60 % Führungsperson, Vermittlerin, Unternehmerin.» Die neuen Aufgaben, die sie seit Juli 2019 innehat, gefallen ihr. Die Forscherseele bleibt.

Segel gesetzt, Fahne gehisst

Seit zehn Jahren prägt Heidrun Gattinger nun die Pflegewissenschaft. Woher kommt ihre Passion zur Forschung? «Schon während meiner Arbeit als Pflegefachfrau war mir die Förderung der Pflegequalität ein grosses Anliegen und ich begann, Abläufe und Praktiken zu hinterfragen.» Einer der Hauptgründe, warum sie in die Forschung wechseln wollte. Mit der FHS im Rücken setzte sie die Segel. Auf die Fahne schrieb sie sich: die Qualität im Bereich der pflegerischen Versorgung zu verbessern. Das motiviert sie, trotz wenig vorhandener Zeit, immer wieder an neuen Projekten teilzunehmen.