20 Jahre FHS St.Gallen – 20 Porträts

Barrieren abbauen für neue Perspektiven

Andrea Sterchi

Gerechtigkeit und Chancengleichheit treiben Carmen Pistek an. An der FHS baut sie Barrieren ab – bauliche und solche in den Köpfen. In der Anlaufstelle barrierefreie Hochschule berät sie Interessierte, Studierende, Mitarbeitende und externe Personen mit und ohne Behinderung.

Der Anruf erreichte Carmen Pistek in Lecce: Sie hatte die Stelle an der FHS. Lange hatte sie geglaubt, dass sie ihrer Arbeit in Heimen für Menschen mit Behinderung für immer treu bleiben werde. Ihre Devise war: «Eine kurze Ausbildung und dann schnellstens zurück in die Praxis.» Sie begann ein Studium in Sozialer Arbeit. Kurz vor ihrem Bachelor-Abschluss realisierte sie, wie gut ihr das wissenschaftliche Denken gefiel. «Unterschiedliche Perspektiven einzunehmen, fand ich spannend.» Sie hängte den Master an und stand 2015 als studentische Mitarbeiterin erstmals auf der Lohnliste der FHS, als sie an einem Jugendarbeit-Projekt mitwirkte. Das machte Lust auf mehr. Sie bewarb sich bei der FHS St.Gallen. Sechs Monate später tat sich eine Möglichkeit auf, als diese jemanden für den Aufbau der Anlaufstelle barrierefreie Hochschule suchte. Genau das Richtige für sie. «Das Thema Inklusion hat mich bei meiner Arbeit mit Menschen mit Behinderung stets begleitet.»

Barrierefrei ist eine Hochschule dann, wenn sie inklusiv denkt und handelt.

Start auf der grünen Wiese

Carmen Pistek fing auf der grünen Wiese an. Das bedeutete zuerst einmal viel lesen, recherchieren, Kontakte knüpfen. Unter anderem beschäftigte sie sich vertieft mit dem Nachteilsausgleich. Carmen Pistek erarbeitete ein Konzept, um die Prozesse in einer zentralen Stelle zu vereinheitlichen, Individualität zu ermöglichen und so für Chancengleichheit innerhalb der FHS zu sorgen. Erzählt sie vom Aufbau der Anlaufstelle, scheint es undenkbar, dass eine Arbeit ausserhalb der Heime sie nie gereizt hat. Deutlich zeigt sich ihr Interesse für Zusammenhänge und wie es ihr gefällt, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Barrieren abzubauen, ohne die Barrieren zu kennen, das gehe nicht. Für sie ist es selbstverständlich, dass sie mit Betroffenen zusammenarbeitet. So sind in der FHS bereits einige bauliche Massnahmen umgesetzt worden, etwa Treppenmarkierungen als Orientierungshilfen für Menschen mit einer Sehbehinderung. Zugleich behält die 39-Jährige das grosse Ganze im Blick. Barrierefrei sei eine Hochschule dann, wenn sie inklusiv denke und nicht erst bei Problemen handle. «Wenn sich Menschen mit Behinderung frei, selbständig und ohne Hilfe Dritter bewegen und studieren können.» Kurz: Wenn es die Anlaufstelle nicht mehr brauche.

Gerechtigkeit und Chancengleichheit sind ihr Antrieb. Darum will sie auch in den Köpfen Barrieren abbauen. «Toll wäre ein Sensibilisierungsvideo, das zeigt, welche Erfahrungen Menschen mit Behinderungen machen und wie sie ein Studium meistern.» An der FHS schätzt sie die beschauliche Grösse, die kurzen Entscheidungswege und die wachsende Akzeptanz gegenüber dem Thema Barrierefreiheit. Die FHS ist für sie eine Türöffnerin. «Sie ermöglichte es mir, mein Denken zu erweitern.» Und das wiederum macht Carmen Pistek zur Barrierenabbauerin.