Schlusspunkt

Köpfe!

Ludwig Hasler, Publizist und Philosoph

Kurz vor Corona hörte ich: Autobauer schicken vermehrt wieder Menschen in ihre vollautomatisierten Fertigungshallen. Weil es mit den Automaten harzt? Oh nein, es läuft glatt. Zu glatt! Maschinen funktionieren perfekt, sie machen keine Fehler, sie wissen gar nicht, was das ist, ein ­Fehler. Bloss fällt ihnen aus dem­selben Grund nichts ein, was die Abläufe erneuern, schlauer machen könnte.

Ganz anders wir Menschen. Wir sind nie ganz dicht. Wir hängen ­unseren Flausen nach, sind leicht abzulenken, langweilen uns rasch, werden ungeduldig. Darum produzieren wir laufend Fehler – und werden innovativ. Gerade weil wir nicht dicht sind, haben wir Poren – für Träume vom Schlaueren, Lustigeren, Eleganteren. Für originelle Ideen. Für unerhörte Lösungen. Für humorvolle Entkrampfungen.

Darum liegt die Redaktion «substanz» goldrichtig. Sie präsentiert 20 Jahre FHS mit 20 Köpfen. Sie hätte auch die Geschichte der Institute nachzeichnen können, die Explosion der Aufgaben, die Fülle der Erfolge. ­Alles interessant. Und doch begann alles in einem Kopf. Jeder Kopf hat so um 85 Milliarden Hirnzellen. An der Hardware mangelt es also nie. Fragt sich nur, womit wir sie füttern. Das unterscheidet die Köpfe. Aus dem einen kommt nichts als ausgeleierter Wissenskram. Aus einem anderen springt plötzlich eine Idee, die zunächst selbstverständlich für eine Schnapsidee gehalten wird. Wir können Ideen nicht zwingen, sie verhalten sich gerne zickig, sie wollen verführt, nicht geplant werden, sie tauchen meist nebenher auf, wenn wir mal Urlaub vom Problem­lösen machen, beim Musizieren, beim Weintrinken, beim Vertiefen in Erkenntnisse «entlegener» Wissenschaften wie Ornithologie oder Robotik.

So agiert, kurz gesagt, ein Kopf, jedenfalls nicht auf vorgespurten Geleisen. An Hochschulen schon gar. Manche sehen in ihnen den Hort des Wissens, so etwas wie die Generalagentur zur Weitergabe von Kenntnissen. Dazu, finde ich, reichte eine Mediathek. Eine Hochschule muss Wissen nicht horten, sondern neu erzeugen – durch Beobachtung und kritisches Denken. Verfügbares Wissen ist ein Kind von gestern. Darum hat es den Rang sanktionierten Wissens. Und eben darum ist es unfähig, uns die Gegenwart zu erhellen. Die ist nämlich stets wieder neu und rätselhaft, siehe Pandemie. Von der Zukunft nicht zu reden.

Also brauchen wir die junge Kraft des Denkens. Wir brauchen Köpfe mit neuen Ideen, die bereit sind, überliefertes Wissen anzuzweifeln statt nachzubeten. Wir brauchen Köpfe, die sehen, was jeder sieht, dabei aber denken, was noch keiner gedacht hat. Wir brauchen Menschen, die intuitiv erkennen, dass der von allen gesuchte Weg von A nach C nicht über B führt, sondern über Q oder X. Das verlangt etwas ganz anderes als ­Wissen – Mut. Ohne Mut kein frisches Denken. Ohne frisches Denken kein Wissen für morgen. Es mag in vielen Ohren komisch tönen: Wissenschaftliches Denken ist letztlich Charaktersache. In digitalen Zeiten erst recht. Sonst geraten wir zum Hanswurst von ­Daten, die vorgestern erhoben wurden.

Hauptsache, Köpfe? 
Na ja, das Herz packen wir auch noch dazu.